„Das ist eine Überlebensfrage – keine des Profits.“

„Das ist eine Überlebensfrage – keine des Profits.“

DAS GP JOULE-MAGAZIN NR. 13 / NOVEMBER 2022

Nach Plänen des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz soll eine kommunale Wärmeplanung ab 2023 zur Pflichtaufgabe für Kommunen werden. Demnach müssen sie ab 2026 über eine solche kommunale Wärmeplanung verfügen. Welche Aufgaben auf die Gemeinden zukommen und warum das richtig ist, erklärt Dr. Jens Clausen, Mitglied der Fachgruppe „Kommunaler Klimaschutz“ der Scientists for Future, im Interview. 

Herr Dr. Clausen, was kann die Wärme für die Energiewende tun? Weshalb rückt sie mit dem aktuellen Gesetzentwurf in den Fokus?

Dr. Jens Clausen: Wir stehen vor der Notwendigkeit einer Dekarbonisierung der gesamten Gesellschaft. Und wie wir alle wissen, ist gerade die Wärmeversorgung noch deutlich fossiler als der Strom und in einem ähnlich schlechten Zustand wie der Verkehr. Es wird fast ausschließlich fossile Energie eingesetzt. Etwa 50 Prozent der Haushalte verfügen über eine Gasheizung, 25 Prozent über eine Ölheizung, 12 bis 14 Prozent über Fernwärme, die aber im Wesentlichen aus fossilen Kraftwerken kommt. Es ist also sehr gruselig. Das wollen und müssen wir in den nächsten 20 Jahren umbauen. 

Und warum muss das auf kommunaler Ebene geplant werden? Bisher hat das doch auch der Markt geregelt. 

Wir dürfen diesen Umbau nicht nur Marktzufällen und den Entscheidungen Einzelner überlassen. Vor allem wenn man bedenkt, dass es bereits Wärmenetze gibt. Wir müssen nun fantasievoll versuchen, diese Netze mit Wärme aus regenerativen Quellen unterschiedlicher Qualität zu füllen, z. B. aus Abfall- und Klärschlammverbrennungswerken, aber auch mit Flusswasser-Wärmepumpen, Tiefengeothermie, solarthermischen Anlagen und so weiter. Daraus ergibt sich dann das Potenzial regenerativer Wärmenetze. Die alte fossile Wärme wurde über ein fast flächendeckendes Gasnetz und mit Öltransportern über ein völlig flächendeckendes Straßennetz verteilt. Da brauchten wir einfach weniger Wärmenetze.

Warum wird die Aufgabe der Wärmeplanung an die Kommunen übertragen? 

Wenn ich nur jedes fünfte Haus an ein Wärmenetz anschließe, sind die Leitungen länger, als sie sein müssten, und damit ineffizient. Man muss Gebiete definieren, in denen Nahwärmenetze verlegt werden. Damit diese auch effizient sind, muss es eine Anschluss- und Benutzungspflicht geben. Man braucht also eine kommunale Fernwärmesatzung. Und die wiederum braucht eine planerische Grundlage. 

Was müssen die Kommunen nun also tun? 

Sie müssen überlegen: Wo macht ein Wärmenetz Sinn? In welchen Gebieten wird es verpflichtend? Und umgekehrt: Wo sind Wärmepumpen möglich? Geologen und Grundwasser-Fachleute sagen: Wir dürfen die Erde nicht überall in einen Schweizer Käse verwandeln. Es gibt Gebiete, die sich dafür eignen, und es gibt solche, in denen wir das aus Vorsichtsgründen tunlichst bleiben lassen sollten. Diese sollten in der kommunalen Wärmeplanung wiedergegeben sein, damit sich die Leute dort nicht umsonst Hoffnungen machen. Dann gibt es Abwärmequellen in der Wirtschaft. Nicht nur Chemie-, Stahl- und Zementwerke, sondern auch moderne Anlagen wie Rechenzentren. Es ist recht klug, eine Art Abwärme-Kataster in den Wärmeplan zu integrieren, um allen Akteuren bekannt zu machen, wo es Abwärme gibt. Und dann müssen Stromnetze ausgebaut werden, damit sie bei einer größeren Anzahl an Wallboxen und Wärmepumpen nicht in die Knie gehen.

Das Wärmeplanungsgesetz  konzentriert sich auf Kommunen mit 10.000–20.000 Einwohnern. Dabei sind kleinere Gemeinden doch deutlich wendiger:  Man kennt sich, die Ansprache ist direkter und es gibt sicher  auch mehr Gemeinsinn. Hat man diese kleineren Kommunen  bewusst außen vor gelassen  oder rücken die eines Tages  auch ins Blickfeld? 

Ich habe im Gegensatz zu kleinen Gemeinden in dicht bebauten Städten mit mehrstöckigen Häusern einfach eine sehr hohe Wärmeabnahme pro Straßenmeter. Dabei heißt das nicht, dass kleinere Kommunen daran gehindert werden, einen solchen Plan zu machen. Auch die können aktiv werden. Insbesondere dann, wenn es Wärmechancen – also Wärmequellen – gibt, sollten sie das auch tun. Ich erwarte sogar, dass es Fördertöpfe auch für solche Kommunen geben wird. 

Dabei liegt das Problem vor allem bei den Bestandsgebäuden.

Korrekt. Und da steht uns oft der Denkmalschutz im Weg. Auch bei denkmalgeschützten Gebäuden müssen zentrale Maßnahmen der energetischen Sanierung möglich gemacht werden. Dennoch haben Innenstädte oft eine relativ hohe Energiedichte. Daher ist in Innenstädten das alleinige Heizen mit Wärmepumpensystemen nur bedingt darstellbar. Das ist der Vorteil von Wärmenetzen: Ich kann Gebäude heizen, die ich ansonsten nur mit größten Schwierigkeiten klimaneutral kriege. 

Viele Aufgaben und viel Zeitdruck. Halten Sie diese Aufgabe für machbar? Wir wissen, wie langsam die Mühlen mahlen. 

Es ist kein wirkliches Wunder, dass Klimaschutzminister Robert Habeck seit Anfang des Jahres intensiv über die Beschleunigung von Genehmigungsprozessen redet. Denn entweder passen wir uns schneller an die Natur an, oder wir gehen unter. Habeck spricht deshalb von dem überragenden öffentlichen Interesse an erneuerbaren Energien. Er schafft damit eine Differenzierung zu anderen Staatszielen wie besagtem Denkmalschutz, der natürlich keine überragende Bedeutung hat, sondern nur eine hohe. 

Das klingt nach einer ganzen Menge Arbeit für die Kommunen, um die sie aufgrund der Gesetzes- lage bald nicht herumkommen.  Gibt es außer diesem Zwang auch Vorteile, die für eine kommunale Wärmeplanung und das Betreiben eigener Wärmenetze sprechen? 

Ein paar haben wir ja schon genannt. Doch in letzter Konsequenz stehen sowohl die Kommunen als auch die Hauseigentümer, in etwas, das ich beinahe eine planetare Pflicht nennen würde. Spätestens seit dem Bericht des Club of Rome 1972 ist klar, dass unsere Lebensweise nicht nachhaltig ist und so nicht dauerhaft fortgesetzt werden kann. Andere Länder wie Dänemark oder Schweden haben um 1990 die Ärmel hochgekrempelt und sind in die Wärmewende eingestiegen. In Deutschland hatten wir unter Rot-Grün 1998 bis 2005 eine kurze Phase, in der zumindest die Stromwende angegangen wurde. Danach kamen 16 Jahre Tiefschlaf unter der CDU und Frau Merkel. Die Regierung Merkel hat nicht nur der zukünftigen, sondern schon der gegenwärtigen Generation eine gigantische Aufgabe hinterlassen. Wenn wir auf Dauer überleben wollen, müssen wir das jetzt mit quasi null Zeit erledigen. Die Kommunen sind in der Pflicht. Das ist eine Überlebensfrage – keine des Profits.

Scientists for Future

Angesichts der globalen Klima-, Biodiversitäts- und Nachhaltigkeitskrise erheben überall auf der Welt Wissenschaftler*innen ihre Stimme. Die S4F sind ein überparteilicher und überinstitutioneller Zusammenschluss von Wissenschaftler*innen aus allen Disziplinen. Mit ihrem Engagement fördern sie einen sachlichen öffentlichen wie politischen Diskurs. Dazu bewerten sie aktuelle Entwicklungen auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse, beleuchten Zusammenhänge, benennen mögliche Zielkonflikte und treten Falschbehauptungen entschieden entgegen. Ihren Ursprung haben die S4F in den „Fridays for Future“. In Anlehnung an diese von Schülerinnen und Schülern ins Leben gerufenen Initiative formieren sich inzwischen viele weitere Bündnisse, wie die „Omas for Future“ oder die „Entrepreneurs for Future“, zu deren über 5.000 Unterstützern auch GP JOULE gehört.

Dr. Jens Clausen

ist Mitglied der Scientists for Future und Mitgründer des Borderstep Instituts. Der Diplom-ingenieur für Maschinenbau leitet als Senior Researcher das Borderstep Büro Hannover. Das Institut analysiert Problemlösungen und erarbeitet zukunftsfähige Handlungsstrategien für ein nachhaltiges Wirtschaften. In seinen Arbeiten beschäftigt sich Dr. Clausen mit Gründungs-, Innovations- und Transformationsforschung. Sein besonderes wissenschaftliches Interesse gilt den Themen Wärme, Elektromobilität und Digitalisierung.