Regenerative Wärme aus dem Netz für die Gemeinde

Von der ersten Idee bis zur Inbetriebnahme: Wie Kommunen ein Nahwärmenetz planen, bauen und betreiben.

Regenerative Wärme aus  dem Netz für die Gemeinde

DAS GP JOULE-MAGAZIN NR. 13 / NOVEMBER 2022

Der 9. November ist ein wichtiger Termin für Tobias Kunz, erster Bürgermeister von Nordendorf. Auf der Gemeinderatssitzung heute wird der Gemeinderat über einen wegweisenden Grundsatzbeschluss abstimmen: Soll in dem schwäbischen Dorf ein Wärmenetz gebaut werden oder nicht? Kunz selbst hat den Vorschlag eingebracht. „Für viele Bürger und auch für unsere Vereinsheime stellt sich die Frage, wie sie künftig heizen sollen. Früher oder später geht es in Richtung erneuerbare Energien“, begründet er seinen Vorstoß.

„Zwei Grundvoraussetzungen müssen als Erstes geklärt werden“, sagt Sören Haase, Leiter des Vertriebsteams Wärmenetze bei GP JOULE und erster Ansprechpartner für Gemeinden auf dem Weg zum eigenen Wärmenetz. „Wo bekommen wir die Wärme her und wo werden wir die Wärme los?“ Das Wärmeteam von GP JOULE unterstützt Gemeinden von der ersten Idee bis zum laufenden Betrieb und verfügt über das Know-how aus zehn Jahren Bau von regenerativen Nahwärmenetzen. 

Für die Wärmequellen gibt es verschiedene Möglichkeiten. Die erste ist die Nutzung von Abwärme aus Biogasanlagen oder Industrieprozessen. Die Wärme von Biogasanlagen zu nutzen, ist die Option, die schon bei den ersten Wärmenetzen von GP JOULE, wie dem in Buttenwiesen, zum Einsatz kam. Inzwischen gab es einen großen Zubau an Windenergieanlagen und auch deren Stromüberschüsse können genutzt werden. „Das wird vor allem bei Netzen in Norddeutschland praktiziert“, berichtet Haase. „Gibt es keine bestehende Wärmequelle, schaffen wir eine.“ Hierfür setzt GP JOULE zum Beispiel auf Photovoltaik-Freiflächenanlagen in Kombination mit einer Wärmepumpe im industriellen Maßstab. 

In Nordendorf hat Bürgermeister Tobias Kunz derweil gute Voraussetzungen für die Abstimmung in der Gemeinderatssitzung geschaffen. „Wir haben erste Gespräche über Grundstücke geführt und mit möglichen Abnehmern gesprochen“, nennt er als Beispiele für die Vorarbeiten. Kunz ist optimistisch, dass die Abstimmung über das Wärmenetz positiv ausfallen wird: „Wärme aus erneuerbaren Energiequellen ist zukunftsweisend. Der Bedarf ist da und ich bin mir sicher, auch der Wille des Gremiums.“

Das erste Konzept

Ist die Frage der Wärmequelle geklärt, errechnet GP JOULE, wie viel Wärme pro Jahr erzeugt werden kann und wer als Abnehmer in Frage kommt. „Kommunale Einrichtungen wie Schule, Rathaus und Kindergarten werden eigentlich immer mit angeschlossen“, erzählt Haase. Dazu kommen Gewerbebetriebe, vielleicht auch Industrieunternehmen und natürlich die privaten Haushalte. Hierfür prüft das Wärmeteam unter anderem die Dichte der Bebauung und wann Häuser in Straßenzügen gebaut wurden, um den Wärmebedarf abzuschätzen. „Das erste Grobkonzept präsentieren wir dem Bürger- meister und gern auch dem Bauausschuss.“ Die Gemeindevertreter spielen eine zentrale Rolle beim Entstehen eines Wärmenetzes. „Wenn sich ein Bürgermeister oder ein Bauausschussvorsitzender dafür engagiert, geht es deutlich schneller“, weiß Haase. Dies bestätigt Jörg Baumgärtner. Er ist seit 16 Jahren Kämmerer der Gemeinde Mertingen und Geschäftsführer der ProTherm Mertingen GmbH. „Die Leute kennen mich, ich verkaufe das Wärmenetz“, sagt er. Die Zusammenarbeit mit GP JOULE hat er trotzdem damals gesucht. „Wir hatten kein Know-how in der Energieversorgung und brauchten einen kompetenten Partner.“ Früher sei man noch proaktiv auf die Gemeinden zugegangen, resümiert Sören Haase. „Mittlerweile kommen immer häuf iger die Gemeinden auf uns zu.“ 

Vor-Ort-Termin beim Wärmenetz 

So war es auch bei Bürgermeister Kunz aus Nordendorf. Er kannte GP JOULE schon und ist deshalb zum Vortrag auf der Messe „Kommunale“ im Herbst 2020 in Nürnberg gekommen. Im Frühjahr 2021 lud er Felix Schwahn, Geschäftsführer der Business Unit WÄRME, zur Klausurtagung in den Gemeinderat ein. Danach reisten Kunz und Kollegen nach Mertingen, um sich von Jörg Baumgärtner vor Ort das Wärmenetz erklären zu lassen. Andere Interessenten kommen auch zum Firmensitz in Buttenwiesen, um bereits realisierte Wärmenetze in der Umgebung zu besichtigen und mit den dortigen Gemeinden ins Gespräch zu kommen.

Zeichnet sich eine Zustimmung in der Gemeinde ab, wird das Konzept weiter ausgearbeitet. Jetzt dreht es sich auch schon um Fragen der Gestattungsverträge für die Verlegung der Rohre, wer den Solarpark bauen würde und wer das Wärmenetz betreibt. Für Letzteres gründet GP JOULE eine Wärmenetzgesellschaft. Gemeinden können sich beispielsweise mit 25 oder 50 Prozent daran beteiligen oder GP JOULE betreibt sie allein. In Buttenwiesen, wo das Wärmenetz dieses Jahr bereits sein 10-jähriges Jubiläum feierte, ist die Gemeinde an der Renergiewerke Buttenwiesen GmbH beteiligt. Genauso ist es in Mertingen mit der ProTherm Mertingen GmbH.

Akquise von Wärmeabnehmern

Ist die Betreibergesellschaft gegründet, geht es in die Kundenakquise. Dafür sind professionelle Werbematerialien nötig, um die sich ein anderes Team von GP JOULE kümmert. Eine Website und Broschüren bündeln Informationen über das Wärmenetz und die Anschlussmöglichkeiten. In dieser Phase ist GP JOULE der direkte Ansprechpartner für Interessierte, macht auf Wunsch Hausbesuche und beantwortet Fragen von Unternehmen, Bürgerinnen und Bürgern. In Zöschingen im bayerischen Regierungsbezirk Schwaben hatte der Gemeinderat Anfang April dieses Jahres einstimmig für ein Wärmenetz gestimmt. Nach der Gründung der Renergiewerke Zöschingen GmbH luden der Erste Bürgermeister Tobias Steinwinter und GP JOULE Anfang August 2022 zur Infoveranstaltung in die Gemeindehalle ein. „Wir haben uns, die neue Betreibergesellschaft und das Bauvorhaben vorgestellt und erläutert, wie die Bürger von dem Wärmenetz profitieren“, erzählt Lena-Marie Brenner, die als Projektleiterin vor Ort war. Von 740 Einwohnern sind 180 zu dem Infoabend gekommen. Brenner freut sich über das große Interesse, gibt es doch zahlreiche gute Gründe für ein regenerativ betriebenes Wärmenetz. Immobilienbesitzende haben keine Verbrennungsprozesse mehr im Haus und benötigen deshalb keinen Schornsteinfeger, was Kosten spart. Sie haben keine Wartungskosten und brauchen nicht für eine neue Heizung zu sparen. Außerdem brauchen sie sich keine Gedanken darüber zu machen, wie sie die Auflage von 65 Prozent erneuerbaren Energien bei einer neuen Heizung erfüllen, so wie es das Gebäudeenergiegesetz ab 2024 vorsieht. Dazu kommt, dass sie mit Preisstabilität kalkulieren können. Die Wärmeverträge werden über zehn Jahre abgeschlossen. Zwar gibt es darin eine Preisgleitklausel. „Aber unsere Preisanpassungen bewegen sich deutlich träger, als es bei Öl und Gas der Fall ist“, betont Haase. 

Gemeinden ihrerseits investieren langfristig in ihre Energieinfrastruktur und leisten einen Beitrag zum Klimaschutz. Außerdem stärkt günstige Wärme den Wert einer Gemeinde als Wohnort oder als Standort für Gewerbe- und Industrie- unternehmen. 

Drei Anschlussmöglichkeiten 

Interessierte Haushalte können sich bei GP JOULE melden und einen persönlichen Termin vereinbaren. Am Küchentisch werden dann alle individuellen Details gemeinsam besprochen. Die potenziellen Kunden können aus drei Optionen wählen. Bei einem Teilanschluss wird ein Rohr auf das Grundstück verlegt, so dass sie sich später anschließen lassen können. Bei der Variante „Netzanschluss“ verlegt die jeweilige örtliche Gesellschaft das Rohr bis in den Heizungsraum im Haus. Dann braucht nur noch der Kessel getauscht zu werden, wenn der Haushalt oder Betrieb Wärme aus dem Netz haben möchte. Beim Vollanschluss wird die Heizung getauscht und der Kunde nimmt sofort Wärme ab. „Wir streben eine Anschlussquote von 50 Prozent an, um weiterzumachen“, berichtet Brenner. Allerdings ist die Zahl nicht ganz fix. Denn ein oder zwei große Abnehmer zum Beispiel aus der Industrie sorgen auch für eine hohe Wärmeabnahme. 

Wenn das Vertriebsteam die angestrebte Anschlussquote erreicht hat und der Wärmebedarf feststeht, wird die Detailplanung intensiviert. Nun muss jeder einzelne Schritt in dem Bauvorhaben aufgeschlüsselt und mit Kosten beziffert werden. Wärme-Vertriebsleiter Sören Haase nennt einige Beispiele: Der Standort der Heizzentrale wird genau bestimmt und die Technik darin inklusive aller Rohre und Schrauben ausgelegt. Genehmigungen, zum Beispiel für den Bau der Heizzentrale, werden eingeholt. Wenn Straßen für die Rohrverlegung genutzt werden sollen, schließt das Team Straßennutzungsverträge ab. Ebenso für Dienstbarkeiten wie die Leitungsverlegung zu den Feldern, auf dem der Solarpark stehen wird. Diese Phase dauert circa drei bis vier Monate. Wenn alles zusammen ist und eine aktuelle Kostenplanung vorliegt, aktualisiert GP JOULE die Wirtschaftlichkeitsberechnung und trifft in der Betreibergesellschaft die Entscheidung über den Bau. 

Finanzierung sichern

Soll es losgehen, führt der nächste Schritt mit dem „Business Case“ zur Bank. Auf Basis der Wirtschaftlichkeitsberechnung inklusive aller Kosten und Erträge wird nun die Finanzierung ausgehandelt. Als Sicherheit fordert die Bank unterschriebene Wärmeabnahmeverträge. „Ist die Betreibergesellschaft zu 100 Prozent in den Händen von GP JOULE, finden die Detailplanung und Finanzierung ohne die Gemeinde statt. Ist die Gemeinde beteiligt, legt sie anteilig Eigenkapital für die Gründung der Gesellschaft ein und ist auch am Risiko der Umsetzung beteiligt“, sagt Haase. 

Wenn alles unter Dach und Fach ist, geht es an die Umsetzung. Bauunternehmen kommen, um die Rohre zu verlegen und die Heizzentrale zu bauen. In jedem Projekt ist es das Ziel, circa 30 bis 40 Kunden so schnell wie möglich mit Wärme zu beliefern. Deshalb entstehen die Wärmenetze in unterschiedlichen Bauabschnitten. Aus der Erfahrung zahlreicher Projekte weiß Haase: „Es ist sehr wichtig, gut mit allen zu kommunizieren und rechtzeitig darüber zu informieren, wann welcher Bauabschnitt beginnt.“ So wird die Energie- versorgung in einer Gemeinde nach und nach auf Nahwärme umgestellt. 

Für die Betreibergesellschaft gibt es auch nach der Inbetriebnahme noch genug zu tun. „Wir übernehmen die technische Betriebsführung, nehmen wiederkehrende Wartungen vor, tauschen in regelmäßigen Abständen die geeichten Wärmemengenzähler aus und überprüfen die Übergabestationen“, nennt Benjamin Schwarz, Projektleiter bei GP JOULE für das Buttenwiesener Wärmenetz, einige Beispiele. Die Gesellschaft erstellt auch die Jahresabrechnungen und kümmert sich um Kundenanfragen. Oder es stehen neue große Projekte an, so wie es in Mertingen der Fall ist. 

Mertingen im Mai 2022, Kämmerer Jörg Baumgärtner lädt in das Wirtshaus Alte Brauerei ein. Vor rund 60 Grundstückseigentümern stellt er die geplante Erweiterung des örtlichen Wärmenetzes vor. Es ist schon seit 2016 in Betrieb, zwei Biogasanlagen liefern die Wärme. Ein örtlicher Molkereibetrieb liefert Reststoffe und bezieht wiederum selbst Abwärme für seine Produktion und Verwaltung. Die Nachfrage nach neuen Anschlüssen nimmt stetig zu. Deshalb werden jetzt Flächen für den Bau eines Solarparks gesucht. Dieser soll die Energie für die Großwärmepumpe und letztlich das Netz liefern. „In fünf Jahren wollen wir 100 Prozent Nahwärmeversorgung erreicht haben“, sagt Baumgärtner. Das Wärmeteam von GP JOULE bleibt dabei der Ansprechpartner und arbeitet Hand in Hand mit den GP JOULE-eigenen Abteilungen für die Planung, den Bau und den Betrieb von Solarparks.

„Dann erzeugen wir auch gleich Solarstrom für die elektrische Energieversorgung und Elektromobilität“, ergänzt Baumgärtner. Die größte Herausforderung sei im Moment, Baufirmen und Baumaterial zuverlässig und zu bezahlbaren Preisen zu bekommen. An Anschlussnehmern mangele es nicht. „Zu Anfang haben wir die Wärme mit einem Einstiegspreis von 8 Cent je Kilowattstunde wie Sauerbier angeboten. Jetzt ist unsere wichtigste Aufgabe, allen zu signalisieren, dass jeder drankommt, aber eben nicht sofort. Bei den explodierenden Energiepreisen will jeder unsere Wärme.“ Das in der Alten Brauerei vorgestellte Modell für die Flächenpacht überzeugt die anwesenden Bürgerinnen und Bürger. Die Erweiterung geht in Planung. 

9. November in Nordendorf: Der Gemeinderat spricht sich für den Bau des Wärmenetzes aus. Startschuss für die sichere, regenerative Zukunft des Heizens.