History repeating?

DAS GP JOULE-MAGAZIN NR. 16 / APRIL 2025
Was heute selbstverständlich ist, war einst umstritten. Neue Technologien stoßen oft erst auf Widerstand, bevor sie später unseren Alltag prägen. Ähnlich ergeht es dem grünen Wasserstoff. Dabei bietet seine heimische Produktion enorme Chancen. Ein Kommentar von Inga Landgrebe
Verfolgt man die öffentlichen Debatten rund um das Thema Wasserstoff, ist man schnell konfrontiert mit viel Bedenkenträgertum. Das ist in Deutschland nichts Seltenes, so wurden schon Glühbirnen (und später dann die Abschaffung der Glühbirnen) mit Untergangsszenarien in Verbindung gebracht. Die Elektromobilität wurde belächelt oder – als dann doch zu viele umstiegen – zum politischen Kampfbegriff, da sie angeblich den Wirtschaftsstandort Deutschland gefährde. Obwohl doch einst der Verbrennungsmotor und dessen Verdrängung der Kutsche der Untergang des Abendlandes war. Na ja. Wie man’s macht. Und mit der Wärmepumpe wollen wir hier gar nicht erst anfangen.
Dieses Bedenkenträgertum ist nun beim Thema grüner Wasserstoff wieder zu spüren. Er sei wie Champagner, es gebe kaum Kapazitäten in Deutschland, ein Hype, auch das Henne-Ei-Problem sei erst mal zu lösen, und sowieso sei Wasserstoff für immer zu teuer und niemals verfügbar. Wenn überhaupt, dann müsse man Wasserstoff importieren. Mehr noch: Ohne fossil hergestellten Wasserstoff ginge es nicht, wenn es denn sein muss, auch mit CCS – also der Abscheidung und Speicherung von CO2 –, auch sehr klimafreundlich. Verständlich, dass Unternehmen, die mit fossilen Energieträgern Geld verdienen, das auch weiterhin tun möchten. Ihnen geht es in dieser Debatte dann aber nicht um Klimaschutz oder die nachhaltige Transformation der Wirtschaft, also den eigentlichen Sinn und Zweck, warum wir überhaupt über Wasserstoff diskutieren.
Werkstoff: Wasserstoff
Dabei ist Wasserstoff, mit erneuerbarer Energie hergestellt, aus verschiedenen Gründen enorm wichtig für die Weiterentwicklung unseres Energiesystems in Deutschland und Europa.
Erstens ist grüner Wasserstoff ein klimafreundlicher Ersatz für Kohle, Öl und Gas: Er bietet eine Möglichkeit zur Dekarbonisierung von Industrien, die schwer zu elektrifizieren sind. Sektoren wie die Stahl- und Chemieindustrie sowie der Schwerlast-, Schiffs- und Flugverkehr könnten durch die Verwendung von Wasserstoff ihren CO2-Ausstoß erheblich reduzieren. Wasserstoff kann als Energieträger genutzt und zur Stromerzeugung verwendet werden.
Inga Landgrebe
Inga Landgrebe ist Public Affairs Managerin. Seit Anfang 2024 verstärkt sie die Politikabteilung bei GP JOULE und setzt sich im politischen Berlin für 100 % Erneuerbare ein. Davor arbeitete sie in verschiedenen Positionen als Beraterin in einer Parteizentrale, in einem Thinktank und im Deutschen Bundestag – immer mit dem Blick auf die klimagerechte Transformation der Wirtschaft. Sie studierte European Studies und internationale Politik in Maastricht, Seoul, Frankfurt (Oder) und Lissabon.
Zweitens hat grüner Wasserstoff die Eigenschaft, Strom aus erneuerbaren Energien aufzunehmen und zu speichern, die sonst verloren gehen würden. Wasserstoff kann also helfen, die Erneuerbaren in das Energiesystem zu integrieren und die Flexibilität des Netzes zu erhöhen. Das Energiesystem wird dadurch widerstandsfähiger und kann besser auf Schwankungen reagieren. Die Produktion von Wasserstoff aus heimischen erneuerbaren Energiequellen trägt also zur Verringerung der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen und zur Verbesserung der Versorgungssicherheit bei. Wenn wir das Energiesystem zukunftsfest und klimaneutral machen wollen, ist das also unser Ausgangspunkt und systemdienlich produzierter grüner Wasserstoff demnach eine tragende Säule.
Wem dient was?
Aber was bedeutet es eigentlich, den Wasserstoff „systemdienlich“ zu produzieren? Die Wasserstoffproduktion muss die Netze entlasten und erneuerbaren Strom insbesondere dann abnehmen, wenn Erzeugungsanlagen abgeschaltet werden müssten, weil die Stromnetze voll sind. Die Erzeugung von Strom aus Wind und Sonne ist nun mal wetterabhängig. Mit dem geplanten Ausbau der erneuerbaren Energien wird sich bis 2030 die installierte Wind-Leistung auf 115 GW verdoppeln und die Solarleistung mit 215 GW sogar vervierfachen.
Dementsprechend muss alles, was dabei hilft, die Erneuerbaren in unser Gesamtenergiesystem zu integrieren, zwischenzuspeichern und zu den Verbrauchern zu transportieren, gefördert werden. Die Elektrolyse – also die Produktion von Wasserstoff aus Strom und Wasser – ist ein hervorragender Abnehmer von Energie, da sie die Energie in Form von Wasserstoff unabhängig nutzbar macht und deren Verteilung über den Transport auf der Straße oder Schiene und in Pipelines erst ermöglicht.
Auch systemdienlich ist, wenn möglichst viele Sektoren von dem produzierten Wasserstoff profitieren und dadurch weniger fossile Energie benötigen. Zum Beispiel indem man die Abwärme des Elektrolyseurs in ein Wärmenetz einspeist. Wichtig ist, dass Elektrolyseure in Regionen mit viel erneuerbarem Strom eingesetzt werden und zu Zeiten anspringen, in der dieser grüne Strom verfügbar und günstig sind. So wird auch der grüne Wasserstoff preiswert. Und nicht zu vergessen: Nur grüner Wasserstoff entfaltet eine nachhaltige Klimaschutzwirkung und reduziert tatsächlich die CO2-Emissionen. Um systemdienliche Elektrolyse kurzfristig voranzubringen, muss der Gesetzgeber ran.
Eine Verbesserung der Wirtschaftlichkeit von systemdienlicher Produktion von grünem Wasserstoff hat enormes Potenzial. In regionalen Wasserstoff-Clustern werden Erzeugung, Produktion und die Abnahme zusammengebracht, der Preis bleibt dadurch stabil und die Belieferung zuverlässig. Hier wird – außerdem – die heimische Produktion schon angeregt, lange bevor Projekte in außereuropäischen potenziellen Erzeugungsländern überhaupt starten.
Auch wenn wir langfristig bestimmte Mengen über Importe decken müssen, sollte der Anspruch doch sein, die Erzeugung in Deutschland voll auszuschöpfen. Das ist energiewirtschaftlich geboten, um eine flexible Stromabnahme zu schaffen und die Erneuerbaren ins System zu integrieren, es ist volkswirtschaftlich sinnvoll und sicherheitspolitisch notwendig, damit wir uns nie wieder in Abhängigkeit von autokratischen Regimen begeben, die den „Wasserstoffhahn“ beliebig abdrehen könnten und uns damit in ähnliche Ausnahmesituationen bringen wie nach dem Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine.
Es ist nicht alles grün, was glänzt
Zudem sollte man die Realitäten des Wasserstoffimports kennen. Die Vorstellung, dass Sonne und Wind in den Wüsten afrikanischer Staaten kostenfrei verfügbar sind, dass die Wasserstoffproduktion auf unbesiedeltem Gebiet stattfindet und die Bevölkerung stark profitiert, ist gelinde gesagt naiv. Zudem sind zahlreiche der momentan besprochenen Exportkandidaten gegenwärtig selbst stark auf fossile Energieträger angewiesen. Bisherige Bestrebungen zielen nicht darauf ab, die Förderung lokaler Energiewenden voranzutreiben, sondern werden unter der Maxime bewertet, woher Deutschland günstigen Wasserstoff bekommt. Das allein sollte nicht die Richtschnur sein, wenn das Bestreben ist, eine globale Wasserstoffwirtschaft aufzubauen, die auch in den Erzeugerländern eine sozial-ökologische Gesellschafts- und Wirtschaftstransformation befördert. Studien (z.B. des Wuppertal Instituts) zeigen außerdem, dass Produktionskosten für Wasserstoff aus Deutschland mittel- und langfristig wettbewerbsfähig werden können.
Was es nun braucht? Einen rechtlichen Rahmen, der eine systemdienliche Fahrweise von Elektrolyseuren anreizt und gleichzeitig eine ausreichende Betriebswirtschaftlichkeit ermöglicht. Und weniger Bedenkenträgertum – damit nicht in zehn Jahren darüber geschrieben werden muss, wie Deutschland den Wasserstoffhochlauf verpasst hat.