Kein Anschluss an diesem Park

Ein Kommentar von Dr. Fabian Faller

Kein Anschluss an diesem Park

DAS GP JOULE-MAGAZIN NR. 14 / JUNI 2023

Der Netzausbau ist zu langsam, die Verteilung der Kosten ungerecht. Was sich ändern muss? Die Kapazitäten müssen besser bemessen, die Netzkosten fair verteilt, die Netze digitalisiert und Anreize geschaffen werden, um die Netze zu entlasten. Das heißt: Wer für intelligenten Stromverbrauch vor Ort sorgt und eine weniger dicke Leitung zu seinem Park gelegt haben will, muss dafür belohnt werden. Denn das senkt die Netzkosten, vermeidet den langwierigen Netzausbau und hilft, die erneuerbaren Energien ins Energiesystem zu integrieren. Das ist gut für die Verbraucher*innen und gut fürs Klima.

Im Moment heißt es immer häufiger: Kein Anschluss an diesem Park. Denn der Ausbau der Stromnetze gestaltet sich als – nennen wir es mal – herausfordernd. Netzbetreiber sind für deren Bau zuständig. Die Übertragungsnetzbetreiber bauen die großen „Stromnetz-Autobahnen“ und die rund 900 deutschen Verteilnetzbetreiber sorgen für den Stromfluss zu den Abnehmern in ihrem Gebiet. Außerdem sind in der Regel die Verteilnetzbetreiber für die Netzanschlüsse der Erneuerbare Energien-Anlagen (EE-Anlagen) verantwortlich.

Das Problem: Der EE-Ausbau nimmt gehörig Fahrt auf – und die Netzbetreiber können das Tempo nicht mitgehen. Und es ist auch gar nicht sinnvoll, überall größtmögliche Stromleitungen zu legen. Zu teuer, zu kompliziert, zu langwierig. Deshalb müssen wir jetzt neue Wege einschlagen, damit der grüne Strom komplett eingesetzt werden kann und nicht wegen überlasteter Netze ungenutzt bleibt.

Der zeitgleiche smarte Ausbau samt intelligenter Nutzung der Stromnetze ist eine der wichtigsten Aufgaben der Energiewende. Denn im Energiesystem mit Zukunft kommt es maßgeblich darauf an, das, was wir haben und können, bestmöglich einzusetzen. So gilt es jetzt, die Netzkapazitäten gut zu bemessen, die Netzkosten fair zu verteilen, die Netze zu digitalisieren und Anreize zu schaffen, um die Netze zu entlasten. Muss immer der ganze Strom aus dem Solarpark ins Netz? So wird es bisher gehandhabt. Aber: Wenn wir das Stromkabel und die Trafos von vornherein halb so dick planen und damit die mögliche Netzeinspeisekapazität halbierten, würde dies lediglich zu 14 Prozent geringerer Netzeinspeisung führen. Die Auswirkung auf die eingespeiste Strommenge ist also überraschend gering! Warum? Weil ein Solarpark nur sehr selten seine volle Leistung ausreizt. Wer eine PV-Dachanlage hat, kennt das. Wir halten also einen Teil der Leitungskapazität für relativ wenige Leistungsspitzen vor.

Es wäre smart, die Stromleitungen von vornherein mit geringerer Netzeinspeisekapazität zu planen und für die Energiemenge des Solarparks, die nicht ins Netz eingespeist wird, eine alternative Nutzung vor Ort einzuplanen. Der Strom könnte beispielsweise kurzfristig in Batterien gespeichert werden und dann, wenn das Netz wieder Kapazität hat, wieder eingespeist werden, also wenn weniger Sonne scheint und weniger Strom produziert wird. Oder der nicht eingespeiste Strom könnte für dezentrale Power-to-X-Lösungen wie Wasserstoff- oder Wärmeerzeugung zur Verfügung stehen. Gute Beispiele dafür sind Großwärmepumpen mit Wärmenetz, Batteriespeicher oder Elektrolyseure nah an der EE-Anlage, beispielsweise direkt am Umspannwerk. Das ist der Ort, an dem der Strom in das Netz eingespeist wird und an dem ansonsten das Signal kommt: Kein Anschluss, bitte abschalten. Mit dem Elektrolyseur könnte also genau der Strom genutzt werden, der ansonsten abgeschaltet wird. Außerdem könnte damit von vornherein das Netz schlanker geplant werden – wie oben erwähnt.

Die beschriebene „Systemdienstleistung“ von Batterien und Elektrolyseuren – Netzentlastung, Stromnutzung statt Abschalten – sollte auch einen Preis zugesprochen kommen, eine Prämie, die es ermöglicht und attraktiv macht, trotz fehlender Netzanschlüsse Wind- und Solarparks zu bauen und damit die Energiewende weiter zu beschleunigen. So könnten viel größere Mengen an erneuerbaren Energien in den Energiemarkt integriert, Sektoren wie Wärme und Verkehr dekarbonisiert und gleichzeitig die Stromnetze geschont werden. Um also einen Anreiz für Betreiber zu schaffen, solche netzentlastenden Leistungen zu erbringen, sollten sie mit einem „Systemdienstleistungspreis“ belohnt werden.

Das wäre gut fürs Netz und für die Verbraucher* innen, denn die Kosten wären mit Sicherheit viel geringer als die zu erwartenden Netzausbau- und Redispatch- Kosten (das sind die Kosten, die entstehen, wenn EE-Anlagen aus Netzengpassgründen abgeregelt werden und deren Betreiber entschädigt werden müssen). Nicht falsch verstehen: Natürlich brauchen wir ein leistungsfähiges Stromnetz. Aber: Bisher wurde und wird das Netz nur von den Verbraucher*innen bezahlt, über die Netzentgelte. Im fossilen System der zentralen Stromversorgung gab es wenige hundert Stromerzeuger. Sie verursachten wenige Netzkosten (dafür allerdings sehr hohe Investitionskosten). Die Netzentgelte waren insgesamt deutlich niedriger als heute. Die Finanzierung durch Endverbraucher und auch die Ausnahmen insbesondere für die stromintensive Industrie, die von Netzentgelten befreit ist, machten damals Sinn.

Doch schon heute – und noch mehr in Zukunft – gibt es mehrere Millionen Stromerzeuger, die ebenso für den Netzausbaubedarf verantwortlich sind, an dessen Finanzierung aber nicht mitwirken. Wenn nun die Netzkosten fairer an der eigentlichen Verursachung des Netzausbaus ausgerichtet würden, wenn sowohl die zusätzlichen Millionen Erzeuger als auch die Großverbraucher, wenn also wirklich alle Nutzer des neuronalen Netzes der Energiewende einen kleinen Beitrag leisteten, dann würde das Netz für alle günstiger. Dazu gehört allerdings noch ein weiterer ganz wesentlicher Punkt: die Netzbelastung.

Wäre es nicht fairer, wenn die, die das Netz belasten, es auch vorrangig bezahlten? Der Vorschlag: Je mehr Netzstrecke ich für meinen Stromverbrauch benötige, je weiter weg also der Stromverbrauch von der Erzeugung erfolgt, desto mehr zahle ich dafür. Solche entfernungsabhängigen oder verursachergerechten Netzentgelte würden auch spürbare Anreize für einen dezentralen Ausbau der Erneuerbaren setzen. Denn wenn der vor Ort produzierte Strom am günstigsten ist, dann nutze ich doch den. Gut für die Wertschöpfung vor Ort, gut für den Geldbeutel und gut für die Netze.

Und damit kommen wir zum Thema Digitalisierung: Erzeugung und Verbrauch von Strom müssen endlich smart werden. Produktion, Verbrauch, Speicherung, Zuschaltung von Strom aus Speichern, Umwandlung in Wärme oder Wasserstoff – all das muss intelligent verknüpft werden. Nur braucht es dafür mehr Daten und damit mehr Wissen: Digitale Verteilnetze schaffen einen Echtzeit-Überblick über die Produktion von grünem Strom und den Stromverbrauch. Speicherbedarfe können prognostiziert werden, auch mithilfe von Wetterdaten. Wenn beispielsweise (zu) viel Strom im Netz ist, können auf Erzeugerseite so genannte zuschaltbare Lasten wie Wärmepumpen, Batteriespeicher oder Elektrolyseure aktiv werden, um am Ort der Erzeugung Strom zu nutzen. Gleichzeitig können auf Verbraucherseite intelligente Systeme bewusst einen Anreiz zum Verbrauch geben, weil ein flexibler Stromtarif anzeigt, dass jetzt – da gerade die Sonne scheint und der Wind weht – der Preis für Strom sehr niedrig ist: Lade jetzt dein E-Auto! Wasch jetzt deine Wäsche! Und so weiter. Informationen für den jeweiligen Hausanschluss beziehungsweise Netzanschlusspunkt reichen dabei schon aus, um dieses Signal zu senden und gegebenenfalls zielgerichtet steuern zu können. Wichtig dabei: Die Nutzer*innen müssen die Strommengen selbst lenken können, selbst entscheiden, wo sie auf ihrem Grundstück, in ihrem Haus, in ihrem Betrieb die Energie einsetzen. Digitale Energiemanagementsysteme unterstützen sie dabei und damit auch die intelligente Stromnetznutzung.

Was also braucht es, damit wir im Park immer gutes Netz haben? Netzkapazitäten schlau bemessen, Netzkosten gerecht verteilen, Anreize zur Netzentlastung schaffen, Netze digitalisieren. Das sind vier Maßnahmen, die die Energiewende richtig Fahrt aufnehmen lassen können. Denn wir brauchen viel mehr Strom – für die Elektromobilität, die Wärmeversorgung, die Industrie, die Wasserstoffwirtschaft, die Abkehr von fossilen Energien, für eine souveräne Energieversorgung, die vollständig auf erneuerbaren Energien beruht. Wollen wir das erreichen, müssen wir Strom effizient im System einsetzen. So dekarbonisieren wir alle Sektoren – und warten nicht weiter auf Anschluss.

Dr. Fabian Faller

ist seit März 2022 bei GP JOULE im Bereich Energiewirtschaft / Public Affairs tätig. Davor war er als Geschäftsführer des Landesverbands Erneuerbare Energien Schleswig-Holstein für dessen strukturellen Aufbau sowie die politische Vertretung der gesamten Branche der erneuerbaren Energien im Norden verantwortlich. Der promovierte Wirtschaftsgeograf ist Experte für gesellschaftliche und regionalwirtschaftliche Auswirkungen und Veränderungsprozesse der Branche der erneuerbaren Energien.