Veränderung ist die Chance, Dinge zu verbessern

Veränderung ist die Chance, Dinge zu verbessern

DAS GP JOULE-MAGAZIN NR. 14 / JUNI 2023

Hochhaus statt Hütte, Traktor statt Ochsenkarren, LED statt Ölfunzel: Kaum etwas ist in der heutigen Welt noch wie vor einigen hundert Jahren. Nur bei der Energie zeichnet sich erst seit kurzem eine Abkehr vom Verbrennen von Kohlenwasserstoffen ab. Dabei bietet die unumgängliche Energiewende auch die Chance, die Gesellschaft zum Besseren zu verändern.

Nichts ist so beständig wie der Wandel. Das soll schon der griechische Philosoph Heraklit von Ephesus gesagt haben, ein halbes Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung. Aus heutiger Sicht scheinen die damaligen Veränderungen gemächlich. Noch immer gilt jedoch, dass Menschen so anpassungsfähig sind wie kaum ein anderes Lebewesen. Sie können im Polarkreis überleben und in der Wüste, in der Großstadt und in der Einöde.

In der Weltgeschichte haben sich fette und magere Jahre immer wieder abgewechselt, ebenso wie im Leben der Einzelnen. Doch in den letzten Jahrzehnten haben wir in Europa die menschliche Fähigkeit zur Anpassung kaum gebraucht. Natürlich gab es Situationen, die den Alltag auf den Kopf stellten: eine ernste Krankheit oder ein Unfall, der Verlust des Arbeitsplatzes. Doch meist betrafen sie einzelne Personen oder Gruppen. Für die Gesellschaft als Ganzes galt: Es gibt jedes Jahr ein bisschen mehr – planbar wie ein Bausparvertrag.

Erst mit der Coronapandemie wurde vielen Menschen klar, wie dünn das Eis ist, das wir ein paar Jahrzehnte lang gesellschaftliche Normalität nannten. In dieser Situation bemerkten viele, dass sie zu Anpassungen fähig sind, die sie vorher nicht für möglich gehalten hatten. Manchmal waren das ganz einfache Dinge. „Arbeiten aus dem Homeoffice und Onlinekonferenzen statt Flugreisen schienen für viele Jahre unmöglich. Dann hat Corona gezeigt, wie schnell Menschen reagieren können“, sagt GP JOULE Geschäftsführer Ove Petersen.

Gleichzeitig zeigte die Krise noch eine weitere Fähigkeit von Menschen: nämlich vorauszuschauen, bewusste Entscheidungen zu treffen und gemeinsame Ziele zu verfolgen. Dass dabei viel gestritten und gelitten wurde, ist nicht zu bestreiten. Doch mit einer Kombination aus gesellschaftlicher Anstrengung und wissenschaftlicher Innovation gelang, was nur wenige für möglich gehalten hatten: die Pandemie so weit in Schach zu halten, dass die Gesundheitsversorgung durchgängig einigermaßen funktionierte und gleichzeitig der wirtschaftliche Zusammenbruch ausblieb. Neben allen kleinen und großen Katastrophen hat uns Corona also in Erinnerung gerufen, wozu wir fähig sind, wenn es darauf ankommt.

Der Wandel als neue Normalität

Es sieht so aus, als ob wir dieses wiederentdeckte Wissen in Zukunft deutlich öfter brauchen werden, denn die ruhigen Zeiten machen keine Anstalten, zurückzukommen. Hitzesommer und Überschwemmungen, Brände und Schneestürme erinnern uns daran, dass der Treibhauseffekt während Corona keine Pause machte. Auch in der Weltpolitik stehen die Zeichen auf Eskalation. Wenngleich die Energiepreise gerade wieder etwas sinken, haben wir gelernt, wie unsicher es ist, sich bei einer so kritischen Lebensgrundlage ganz auf andere zu verlassen. Gelernt haben wir auch, wie wir uns selbst helfen können. „Die Anstrengungen zum Energiesparen waren groß, obwohl wir noch weit von einem Versorgungsengpass entfernt waren“, sagt Petersen.

Doch warum haben wir die Klimakrise dann nicht schon längst gelöst? Dem vorausschauenden Handeln steht ein gegenläufiger Effekt entgegen. Die Menschheit hat in ihrer langen Geschichte nämlich nicht nur das Reagieren gelernt, sondern auch, sich ihre Kraft gut einzuteilen. Wer bei jedem Knacken eines Astes losrennt, hat keine Energie mehr, wenn der Säbelzahntiger wirklich angreift. Leider funktioniert diese Art der Gefahrenwahrnehmung in der modernen Welt nicht mehr so recht, denn nur selten steht uns plötzlich ein brüllendes Raubtier gegenüber.

Die Klimakrise ist zwar um ein Vielfaches gefährlicher als ein Säbelzahntiger, doch sie pirschte sich langsam in unsere Welt. Eine Flut hier, ein Temperaturrekord da. Wer wollte, konnte viele Jahre lang einfach die Zeitung beiseitelegen oder die Meldungen als Panikmache abtun. Die PR-Maschinerie der fossilen Energiewirtschaft half dabei, wo sie konnte. Der amerikanische Klimaforscher Michael E. Mann beschreibt das in seinem Buch „Propagandaschlacht ums Klima“ sehr eindrücklich. Auch Transformationsforscherin Maja Göpel geht der Frage nach, warum wir als Gesellschaft nicht die Welt schaffen, die wir uns als Individuen wünschen. Ihr Fazit: Unsere vom Glauben an Wirtschaftswachstum geprägte Sicht der Welt war es, die uns das Offensichtliche so lange übersehen ließ.

Nun ist das Übersehen nahezu unmöglich geworden. Doch auch Schreckensszenarien von ewiger Dürre, versauerten Meeren und versunkenen Kontinenten taugen bestenfalls zum kurzfristigen Aufrütteln. Schlimmstenfalls führen sie zu Lähmung und Depression. Michael Mann beschreibt solche Vorstellungen sogar als gezieltes Sabotagemittel fossiler Energiekonzerne. Als „untätige Aktivisten“ bezeichnet er die Miesmacher. „Die Schwarzmalerei hat die Leugnung als Bedrohung und als Taktik überholt. Untätige Aktivisten wissen, dass Menschen, die glauben, dass man nichts tun kann, auf den Pfad der Untätigkeit geführt werden. Indem sie aufgeben, tun sie unwissentlich das, was im Interesse der fossilen Brennstoffindustrie liegt“, sagte Mann in einem Interview mit dem Guardian.

Der Wandel zum Besseren hat begonnen

Aus der Misere hilft nur der Ausblick auf einen Wandel zum Besseren. Und dafür stehen die Zeichen gut. Windenergie und Photovoltaik sind ausgereifte Technologien und werden täglich billiger. Die Batterieforschung bringt ständig neue Produkte zur Marktreife, die auf verschiedenste Rohstoffe setzen. Hersteller von Brennstoffzellen und Elektrolyseuren skalieren in Windeseile ihre Fabriken. Wärmepumpen-Anbieter kommen mit der Produktion kaum hinterher. Und auch die Politik wandelt sich immer schneller. Selbst Fachleute, die seit Jahren in Seminaren Energiestandards erklären, können die neuesten Vorschriften kaum noch so schnell lesen, wie sie beschlossen werden.

Doch reicht das Tempo, um die Versäumnisse der letzten Jahrzehnte aufzuholen? Bisher leider noch nicht. Da ist zum einen die unweigerlich nötige Beschleunigungsphase. Neue Solarfabriken müssen gebaut, neue Fachleute eingearbeitet werden. Doch viel kritischer ist die bleibende Skepsis – die Angst vor der Veränderung und der Notwendigkeit, wirklich alle Hebel in Bewegung zu setzen. Denn eine echte Wende bedeutet Veränderung im täglichen Leben. Eine Mobilitätswende wird nicht nur den Wechsel von einem Brennstoff zum nächsten bedeuten. Sie heißt auch, dass es weniger Autos und dafür mehr Fahrräder, Züge und Busse geben muss – oder auf dem Land eben autonom fahrende Sammeltaxen. Gerade für Menschen mit weniger Geld liegt darin auch eine große Chance.

Konsequenter Klimaschutz wird auch nicht umhinkommen, das leidige Thema der menschlichen Ernährung auf den Tisch zu bringen. Denn tierische Lebensmittel sorgen nicht nur für hohe CO2-Emissionen, sondern benötigen für die Futtermittel auch die größten Flächen in Deutschland.

Konsens mit Konsequenzen gesucht

Petersen sieht es daher als größte Herausforderung, jetzt wirklich einen gesellschaftlichen Konsens darüber zu entwickeln, dass die Energiewende gelingen muss und wir die Klimaziele einhalten müssen. Dazu gehöre auch, den Einsatz vorhandener Flächen und Ressourcen notfalls gezielt umzusteuern. „In der Ölkrise in den 1970ern war es möglich, ein Tempolimit und Fahrverbote an Sonntagen zu beschließen. Heute sind wir in einer viel größeren Krise – und sorgen uns stattdessen darum, ob Gastrobetriebe an der Ostsee dann sonntags noch genügend Eis verkaufen.“ Auch knappe Ressourcen und Flächen lässt Petersen nicht als Ausflucht gelten: Wenn der Beton für Autobahnen und Sportstadien reicht, kann er schwerlich zu knapp für Windkraft-Fundamente sein. Wo Platz für den Anbau von Viehfutter und neue Gewerbegebiete ist, wird sich auch ein Ort für neue Solarparks und Aufforstung neuer Waldgebiete finden lassen. Wer in wenigen Wochen ein LNG-Terminal genehmigen kann, sollte dasselbe auch mit einer Wasserstoffleitung schaffen.

„Wir müssen ja nicht einmal alles ändern – aber einige Anpassungen werden nötig sein. Und sie sind dringend. Selbst wenn wir es nicht mehr schaffen, die Klimaerwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, sondern eben auf 1,8 Grad, ist die Konsequenz dieselbe: Wir müssen jetzt loslegen. Und spätestens seit der Pandemie wissen wir, dass wir das können“, sagt Petersen. Nun gilt es, dass sich die Gesellschaft wieder ihrer Fähigkeit zu Anpassung und Innovation bewusst wird und durchstartet in eine bessere Zukunft.

Energiewende von unten anpacken – so klappt es

Je mehr Menschen die Energiewende mittragen, desto leichter gelingt sie. Doch was so schlüssig klingt, ist in der Praxis manchmal ganz schön schwer. „Ja, aber ...“ heißt es dann oft. Gut zu wissen: Widerstände sind ein normaler Teil jeder Veränderung.

 

Maja Göpel rät, ab und zu einen Schritt zurückzutreten und – falls nötig – einen neuen Weg zum Ziel zu suchen. Wichtig ist, sich nicht in individuellem Ökoperfektionismus zu verzetteln. Auch wenn das eigene Umfeld und gute Vorbilder wichtig sind: Auf die Eigenverantwortung zu verweisen ist ein jahrzehntelang erprobtes Mittel von Konzernen, um klare Regeln abzuwenden. Das ist in der Energiebranche nicht anders als bei der Tabak- und Waffenlobby. Klimaforscher Michael E. Mann beschreibt, dass sogar oft die gleichen PR-Institute dahinterstecken.

 

Auch bedrohliche Worst-Case-Szenarien können zur eigenen Gefahr werden – nämlich dann, wenn sie so überwältigend sind, dass sie Menschen vor Schreck erstarren lassen. Auch diesen sogenannten „Doomism“, frei übersetzt also Untergangsglauben, beschreibt Mann als eine Taktik, um echte Veränderung abzuwenden.

 

Eine konkrete Anleitung für lokale Initiativen bietet hingegen die Webseite klimawende.org. Die Beispiele reichen von Solar-Kampagnen bis zum Bürgerentscheid über den Rückkauf der Energienetze. Selbstwirksamkeit zu erleben, am besten gemeinsam mit anderen, gilt als bestes Mittel gegen Frustration. Und für den Fall, dass es trotzdem mal nicht so gut läuft, rät Göpel: „Bleiben Sie freundlich und geduldig, aber bleiben Sie dran.“