„Das Wir-Gefühl ist das beste Mittel gegen Ohnmacht“
DAS GP JOULE-MAGAZIN NR. 15 / JANUAR 2024
Der Autor und Podcaster Gabriel Baunach hält es für falsch, sich allein darauf zu konzentrieren, den eigenen CO₂-Fußabdruck zu verkleinern. Mindestens genauso wichtig sei es, den Klima-Handabdruck zu vergrößern – also gemeinsam daran zu arbeiten, Politik und Wirtschaft auf Klimakurs zu bringen.
Herr Baunach, ich gehöre zu den Leuten, die aktiv versuchen, ihren CO₂-Fußabdruck zu verkleinern. Das heißt, ich fahre so viel Fahrrad wie möglich, ich habe Solar auf meinem Hausdach und ja, ich benutze eine Holzzahnbürste. Nun sprechen Sie von einem CO₂-Fußabdruck- Mythos. Was meinen Sie damit?
Wir konzentrieren uns zu sehr darauf, was wir als Einzelperson gegen die Klimakrise unternehmen können. Dieser Fokus ist aber gefährlich. Denn wenn ich mich jetzt nur darum kümmere, zu Hause das Licht auszuschalten, ignoriere ich die wirklich zentralen Stellschrauben in Politik und Wirtschaft. Der Verweis auf den persönlichen CO₂-Fußabdruck ist ein Ablenkungsmanöver, er verlagert die Verantwortlichkeit auf die individuelle Ebene.
Aber spricht denn etwas dagegen, wenn jemand erst mal seine eigenen Emissionen senkt?
Nein, denn bei vielen Menschen bildet die Beschäftigung mit dem eigenen CO₂-Fußabdruck auch den Startpunkt des eigenen Klimaengagements. Allerdings stellt man sich so quasi allein dieser riesigen Klimakrise entgegen, anstatt gemeinsam viel effektiver zu handeln.
Schaden tut der CO₂-Fußabdruck aber nicht unbedingt. Oder doch?
Problematisch wird es, wenn das Gefühl, nicht wirklich etwas verändern zu können, zu Frustration und Ohnmachtsgefühlen führt. Denn dann gibt man irgendwann auf. Außerdem provoziert der reine CO₂-Fußabdruck-Fokus den Fingerzeig auf sich selbst oder auf seine Mitmenschen. So entstehen schnell Schuld-, Scham- oder Scheinheiligkeitsdebatten.
Okay, es geht also darum, größere Hebel anzusetzen. Wie kann das aussehen?
Wir brauchen ergänzend ein zweites Konzept: den Klima-Handabdruck, also Hand anzulegen an die großen Hebel in der Welt, in Politik und Wirtschaft. Dafür müssen wir kollektiv handeln. So könnte man etwa in Gruppen mit Menschen, die einem etwas bedeuten und denen man selbst etwas bedeutet, die Klimakrise an ansprechen – dabei aber nicht in die frustrierenden, moralisch aufgeladenen Debatten über Autofahren und Fleischkonsum verfallen, sondern konstruktiv bleiben. Also etwa darüber sprechen, wie jeder und jede in der Gruppe den Klima-Handabdruck vergrößern kann. Meiner Erfahrung nach fühlen sich die Menschen dann schnell motiviert, etwas für das große Ganze zu tun, anstatt nur ihren individuellen Konsum umzustellen.
Das heißt?
Zum Beispiel den eigenen Beruf als Teil der Lösung zu definieren. Wir arbeiten durchschnittlich 80.000 Stunden im Leben. Die Berufswahl ist also ein großer Hebel. Und wer seinen Beruf nicht wechseln will oder kann, hat die Möglichkeit, bei seinem Arbeitgeber den Wandel hin zu nachhaltigem Wirtschaften voranzutreiben. Da kommt es dann auch darauf an, sich mit KollegInnen zusammenzutun. Man könnte sich zum Beispiel für mehr vegetarische oder vegane Gerichte in der Kantine einsetzen oder fordern, dass für Dienstreisen die Bahn anstelle des Flugzeugs genommen wird. Und vielleicht kann man sein Unternehmen ja auch dazu bewegen, klimapolitisch Stellung zu beziehen. Das Engagement im Kommunalparlament ist ein weiterer großer Hebel, der aber auch einiges an Zeit verlangt. Es gibt aber auch noch andere Instrumente:
Direktdemokratische Mittel wie Petitionen aufsetzen zum Beispiel, die Teilnahme an Demonstrationen oder gar deren Organisation, und natürlich das Wählen. Da empfiehlt es sich genau hinzuschauen, was die Parteien jenseits der klimapolitischen Buzzwords tatsächlich anstreben. Nicht zu vergessen ist das Thema Klimaklagen. Man kann selbst Rechtsmittel in die Hand nehmen, sich anderen Klagen anschließen oder diese unterstützen.
Ersetzt der Handabdruck also den Fußabdruck?
Es geht hier nicht um endweder oder, sondern darum, zur wirkungsvollsten und im zweiten Punkt angenehmsten Mischung dieser beiden Konzepte zu kommen. Das muss jeder und jede für sich selbst erspüren: Bin ich eher Typ Handabdruck, also ein Mensch, der sich gerne kollektiv engagiert und etwas Geduld mitbringt, weil ich weiß, dass politische Prozesse einfach Zeit brauchen? Oder denke ich lieber im Unmittelbaren meines Lebens? Je nach Antwort verschiebt sich dann die Mischung zwischen Handabdruck-Vergrößerung und Fußabdruck-Verkleinerung.
Durch die Verringerung des Fußabdrucks erfährt man Selbstwirksamkeit. Das ist einem beim Handabdruck oft nicht vergönnt, das kennen Sie sicher auch. Was hilft Ihnen persönlich, durchzuhalten und zuversichtlich zu bleiben
Am allermeisten der Austausch mit gleich oder ähnlich Gesinnten – also mit Menschen, die wirklich verstanden haben, in welcher Lage wir sind. Ein positiver Nebeneffekt der Handabdruck-Vergrößerung ist ja, dass man Menschen kennenlernt, die ähnlich ticken. Dieses Wir-Gefühl ist das beste Mittel gegen Ohnmacht und Frustrationsgefühle. Darüber hinaus ist für mich aber auch das Thema Resilienz enorm wichtig. Das bedeutet vor allem, angesichts der ökologischen Megakrise die psychische Gesundheit noch stärker zu priorisieren, als es in der Vergangenheit nötig war. Also etwa sich bewusst zu machen, was einem selbst guttut, um die Hoffnung am Leben zu halten. Die brauchen wir nämlich – als Haltung des stoischen Handelns: Trotzdem Hoffnung!
Was willst du tun?
Hier kommen einige Tipps, wie man den Klima-Handabdruck vergrößern kann:
• Für sich eine Klimastunde pro Woche festlegen, etwa für Weiterbildung oder Engagement
• Wechsel zu einer ökologisch-sozialen Bank (gute Aufwand- Wirkung-Bilanz)
• Mit Menschen im persönlichen Umfeld über Lösungen für die Klimakrise sprechen
• Eine Klimagruppe im eigenen Unternehmen gründen, um dort Klimaschutz voranzubringen (weniger Fleisch in der Kantine, Bahn statt Flug bei Dienstreisen, E-Bikes statt Autos als „Dienstwagen“, öffentliche Positionierung etc.)
• Politisches Engagement (Kommunalpolitik, NGOs, Demo-Teilnahmen, Bürgerinitiativen usw.)
• Klimaklagen aufsetzen oder sich an solchen beteiligen
• Klimabewusst wählen
• Leserbriefe schreiben an Zeitungen, Radio- und TV-Sender etc.
• Spenden an Klimaschutz-Organisationen
• Engagement für Klimaschutz-Bildung (im Elternbeirat, Lehrpläne anpassen etc.)
• Sich für die Form des Engagements entscheiden, die gut zu einem passt, anstatt sich in vielen kleinen Verzichtsmaßnahmen aufzureiben.
Hoch die Hände, Klimawende
Willst du was für den Klimaschutz tun, musst du deinen CO₂-Fußabdruck reduzieren – so die gängige Auffassung: regional einkaufen, LED-Lampen verwenden, weniger konsumieren. Doch Klima-Experte Gabriel Baunach erklärt in seinem Buch, wie persönlicher Klimaschutz geht, der sich wirklich lohnt und Hoffnung macht: mit Handabdruck-Hebeln statt Fußabdruck- Frust.
Gabriel Baunach
Gabriel Baunach, geboren 1993, begann bereits im Alter von 14 Jahren sich mit der Klimakrise zu beschäftigen. Er studierte Maschinenbau an der RWTH Aachen und im Ausland, spezialisierte sich auf Energietechnik und nahm mit dem UN-Klimasekretariat an der Weltklimakonferenz COP25 in Madrid teil. Seit 2020 betreibt er die Klima-Aufklärungsplattform »Climaware«, er produziert Klima-Podcasts und hält Vorträge über den aktuellen Stand der Klimakrise und den Klima-Handabdruck.