Produzieren statt einkaufen
DAS GP JOULE-MAGAZIN NR. 15 / JANUAR 2024
Die Elektrolyse macht die Integration der Erneuerbaren ins Energiesystem erst möglich. Diese Leistung kommt in der Nationalen Wasserstoffstrategie viel zu kurz. Ein Kommentar von Henning Uck.
Wie viel Wasserstoff darf es denn sein? Die Bundesregierung hat eine neue Nationale Wasserstoffstrategie entwickelt. In der ist vieles gut gemeint, doch kreist sie viel zu sehr um die falsche Ausgangsfrage. Und so liefert das Papier nur unzureichende Antworten. Was es braucht, ist eine neue Perspektive.
Vor mittlerweile drei Jahren, im Juni 2020, hat die Bundesregierung die erste Nationale Wasserstoffstrategie (NWS) mit dem Ziel vorgelegt, die ausreichende Bereitstellung von Wasserstoff und seinen Derivaten zur Deckung der Bedarfe in den verschiedenen Anwendungsbereichen sowie die Etablierung der notwendigen Wertschöpfungsketten sicherzustellen. Nun erfolgt mit der Fortschreibung der Nationalen Wasserstoffstrategie 2023 die erste Überarbeitung, welche die Maßnahmen erweitert, dabei aber die übergeordnete Zielsetzung beibehält.
Eins vorweg: Eine ganz konkrete Umsetzungsanleitung stellt die Strategie nicht dar. Das ist auch nicht ihr Ziel. Vielmehr geht es darum, den Korridor vorzugeben, an dem sich Politik, Industrie und die Bürgerinnen und Bürger orientieren können: Was hat die Bundesrepublik im Hinblick auf Wasserstoff vor?
Und die Überschriften dieses Korridors lesen sich erst einmal gut: Ein beschleunigter Markthochlauf von Wasserstoff, Derivaten und Anwendungstechnologien wird ebenso gefordert wie die Sicherstellung der ausreichenden Verfügbarkeit von Wasserstoff. Dabei ist die Verdopplung des Ziels für heimische Elektrolysekapazität im Jahr 2030 von 5 Gigawatt (GW) auf mindestens 10 GW ein besonders herausgestellter Aspekt. Und auch die weiteren Punkte, die vom Aufbau einer leistungsfähigen Wasserstoffinfrastruktur – inklusive des Wasserstoffkernnetzes mit der ambitionierten Zielsetzung der ersten 1.800 km bis 2027/2028 – bis zur Schaffung geeigneter Rahmenbedingungen reichen, senden erst einmal positive Signale, welche den Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft ankurbeln dürften. Die Richtung stimmt also.
Jetzt kommen wir zum Aber, und dieses Aber ist ein großes, denn das Papier ist nicht zu Ende gedacht.
Deutlich wird dies beispielsweise beim schon weiter oben erwähnten Ausbauziel von 10 GW Elektrolyseleistung bis 2030: Mag dieser Wert auch eine Verdopplung des Zielwerts der alten NWS darstellen, so reicht diese Kapazität aus zwei Gründen längst nicht aus.
Zum einen, weil die 10 GW Elektrolyseleistung bei weitem nicht zur Deckung der ebenfalls in der NWS ausgewiesenen erwarteten Wasserstoffbedarfe im Jahr 2030 genügen. Von den dort skizzierten Mengen zwischen 95 bis 130 TWh ließe sich mit den anvisierten 10 Gigawatt lediglich ein Viertel decken. An dieser Stelle wird dann allzu schnell die gängige Argumentation bemüht, dass Importe unumgänglich seien. Doch darin steckt eine große Gefahr: Denn wo die Potenziale der heimischen Produktionsleistung unterschätzt werden, wird naturgemäß der Importbedarf überschätzt, für den laut NWS „eine gesonderte Importstrategie“ entwickelt wird. Das setzt falsche Anreize und Impulse: Statt sich um die Wasserstoffproduktion, den Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft und damit die Systemdienlichkeit der Elektrolyse zu kümmern, könnte das eine oder andere Unternehmen auch schlicht geneigt sein, importierten und womöglich gar subventionierten Wasserstoff zu nutzen. Damit ginge nicht nur ein Teil der Systemdienlichkeit verloren, sondern wir begäben uns damit wieder in neue Abhängigkeiten.
Damit kommen wir zum zweiten Punkt, warum die angepeilten 10 Gigawatt Elektrolyseleistung bis 2030 völlig unzureichend sind: der Systemdienlichkeit, also der Eigenschaft der Elektrolyseanlagen, durch ihre Betriebszeiten das Energiesystem zu unterstützen, also vor allem an überlasteten Netzknotenpunkten zu Zeiten hoher Einspeisung von Wind- und/oder Solarstrom die Energie für die Herstellung von grünem Wasserstoff zu entnehmen. So können die Netze entlastet und die erzeugte Energie dennoch gespeichert und nutzbar gemacht werden. Das ist die systemische Leistung der Elektrolyse. Dafür brauchen wir sie. Und zwar hier.
Das muss in den Mittelpunkt rücken und gefördert werden. Denn mit dem geplanten Ausbau der erneuerbaren Energien soll sich bis 2030 die installierte Windleistung an Land auf 115 GW verdoppeln und die Solarleistung mit 215 GW sogar verdreifachen. Doch schon heute sind in vielen Regionen Deutschlands die Stromnetze nicht in der Lage, die Leistung aufzunehmen. Selbst bei einem ambitionierten Stromnetzausbau wird sich diese Situation über die nächsten Jahre weiter zuspitzen. Und es fehlen nicht nur die Netze, es fehlen auch schlicht die Abnehmer der Energie. Wir werden den erzeugten Strom nicht verbrauchen können. Abregeln statt nutzen wäre dann die Norm.
Das gefährdet den Wind- und Solarkraftzubau, da nicht klar ist, ob diese Projekte überhaupt finanziert werden, wenn nicht sichergestellt werden kann, dass der Strom auch tatsächlich abgenommen oder eingespeist werden kann.
Bei all diesen Punkten wird vor allem eins klar: Die Wasserstoffstrategie ist vom Verbrauch her gedacht und entwickelt. Doch geht es wirklich darum, eine bestimmte Menge an Wasserstoff zu erzeugen? Wie wäre es hingegen, das Thema Wasserstoff von dem Ziel der Energiewende her zu denken? Eigentlich darf die Ausgangsfrage nicht lauten: „Wie kommen wir möglichst schnell an Wasserstoff ?“ Sie muss lauten: „Wie können wir Wasserstoff nutzen, um unser Energiesystem ganzheitlich zu erneuerbaren Energien hin zu transformieren?“ Die Folgen dieser umgestellten Fragestellung: Wasserstoff wird Mittel zum Zweck.
Mittel zum Zweck, um die Erneuerbaren ins Energiesystem zu integrieren. Denn die Erzeugung von Strom aus Wind und Sonne ist nun mal wetterabhängig. Dementsprechend muss alles, was dabei hilft, die Erneuerbaren in unser Gesamtenergiesystem zu integrieren, zwischenzuspeichern und zu den Verbrauchern zu transportieren, gefördert werden. Die Elektrolyse hat dabei einen besonders hohen Wert, da sie die Energie in Form von Wasserstoff zeitlich unabhängig nutzbar macht und die Verteilung der Energie über den Transport auf der Straße, Schiene und in Pipelines erst ermöglicht.
Wasserstoff ist also viel mehr als nur ein Energieträger, den man beliebig viel importieren kann, Hauptsache, irgendein Abnehmer ist versorgt. Die Erzeugung von Wasserstoff hierzulande – und damit verbunden der schnelle Auf- und Ausbau der heimischen Wasserstoffwirtschaft – ist für das Energiesystem mit Zukunft und für eine komplette Versorgung von Haushalten, Industrie und Verkehr mit 100 Prozent erneuerbaren Energien unverzichtbar.
Genau das nimmt die neue Nationale Wasserstoffstrategie viel zu wenig in den Blick: Sie kreist noch immer zu sehr um die Frage, was irgendwelche Abnehmer irgendwann womöglich an Wasserstoff brauchen könnten – und wo wir diesen dann vielleicht herkriegen. Wirklich innovativ ist die NWS damit nicht. Stattdessen werden überholte Denkmuster bemüht und die Chancen und Möglichkeiten der massiven Energietransformation nicht ausreichend berücksichtigt.
Henning Uck
Henning Uck war nach seinem Studium im Studiengang Energie- und Umweltmanagement in Flensburg zunächst einige Jahre in der Unternehmensberatung im Bereich der Strategie- und Geschäftsmodellentwicklung zum Beispiel für Unternehmen in der Energiewirtschaft tätig. Seit Dezember 2022 arbeitet er als Manager für Strategische Projekte bei GP JOULE HYDROGEN an zukünftigen Geschäftsfeldern im Bereich Wasserstoff. Dabei beschäftigt er sich unter anderem mit der Identifikation neuer Wasserstoffkunden, der Speicherung von Wasserstoff in Salzkavernen sowie mit den notwendigen regulatorischen Voraussetzungen.