Regionale Energiewende im großen Stil

Regionale Energiewende im großen Stil

DAS GP JOULE-MAGAZIN NR. 14 / JUNI 2023

In einem wegweisenden Projekt entwickelt GP JOULE ein integriertes Energiesystem, das drei Einheitsgemeinden in Sachsen-Anhalt über mehrere Sektoren mit erneuerbarer Energie versorgen kann. Auch eine kostengünstige Wärmeversorgung für alle Bürger wird angestrebt. Dafür sorgen Windenergieund Photovoltaikanlagen, die Strom für Nahwärmenetze zur Verfügung stellen.

Wie dringlich schnelle Fortschritte beim Klimaschutz sind, hat der sechste IPPC-Bericht deutlich gemacht, der im März vom Weltklimarat veröffentlicht wurde. Von der „Klima-Zeitbombe“ ist da die Rede und dass noch weitaus ambitionierter gehandelt werden müsse, wenn das 1,5-Grad-Ziel noch erreicht werden soll. Dazu kommt die sichere Energieversorgung, die seit dem Beginn des Krieges in der Ukraine die Agenda der Bundesregierung beherrscht. Lösungen, die den Klimaschutz und die Energiesicherheit mit großen Schritten voranbringen, sind also gefragt. Eine solche präsentiert GP JOULE nun mit einem Sektorkopplungsprojekt für die Stadt Südliches Anhalt sowie die benachbarten Einheitsgemeinden Zörbig und Petersberg in Sachsen-Anhalt, vereint unter dem Namen „Renergiewerke Fuhne“. Mit dem Verbundvorhaben könnte die Energieversorgung von 46 Ortschaften innerhalb weniger Jahre zum Großteil auf erneuerbar umgestellt werden. Der Strom von Windenergie- und Photovoltaikanlagen wird auch für die Wärmewende genutzt. Er treibt Großwärmepumpen an, welche Energie für Nahwärmenetze bereitstellen.

Die Idee für das Leuchtturmprojekt geht auf Ingo Marco Pannicke zurück. Mit seinem Unternehmen Grüne Energien Solar in Bitterfeld-Wolfen entwickelt dieser seit vielen Jahren Photovoltaikprojekte, darunter auch Solarparks, in der Region. Er hatte die Idee der großflächigen Wärmenetze und fand in GP JOULE einen Kooperationspartner, der umfangreiche Kompetenzen im Bereich Sektorenkopplung mit den Technologien Windenergie, Wasserstoff, Ladeinfrastruktur und eben auch Wärme hat. Für rund zwei Dutzend Kommunen hat GP JOULE bereits regenerativ unterstützte Wärmenetze geplant und gebaut. Gemeinsam entwickelten sie die erste Vision zu einem großflächigen regenerativen Energiesystem weiter. In seiner Dimension ist es auch für GP JOULE neu.

Orte mit vielen Ortschaften

Eine Herausforderung ist die Struktur der drei Kommunen. Die Stadt Südliches Anhalt ging aus 18 von 21 Gemeinden hervor, die bis zur Auflösung 2009 zur Verwaltungsgemeinschaft „Südliches Anhalt“ gehörten. Heute zählt die Stadt 24 Ortschaften und 51 Ortsteile. Zörbig ist sowohl eine Stadt als auch eine Einheitsgemeinde mit 15 Orten. Petersberg wiederum ist eine Einheitsgemeinde mit 11 Orten. „Es sind viele Kleinstortschaften darunter. Manchmal haben sie nur 50 Häuser, manchmal auch 300 bis 500“, berichtet Carolin Hölscher, Projektleiterin im Team „Integrierte Energiesysteme“ bei GP JOULE. Sie leitet das Projekt gemeinsam mit Simon Radermacher. Auch die politische Struktur ist besonders. Jeder Ort hat einen Ortschaftsrat, pro Einheitsgemeinde gibt es aber nur einen Hauptbürgermeister und einen Gemeinderat, der nach den lokalen Beratungen und Beschlüssen eine Entscheidung für alle trifft. Für dieses komplexe Geflecht entwickeln Hölscher und Radermacher mit ihrem fachübergreifenden Team nun ein Energiekonzept. 

Wind- und Solarstrom für die Wärmeerzeugung

Die Energie für die geplanten Großwärmepumpen in der Stadt Südliches Anhalt, Zörbig und Petersberg soll von Photovoltaik- und Windenergieanlagen erzeugt werden. Dafür würden rund 660 Megawatt Photovoltaikleistung als Freiflächenanlagen und auf landwirtschaftlichen Flächen und Konversionsflächen montiert werden. Dazu kämen neue Windenergieanlagen mit etwa 245 Megawatt Leistung. Der elektrische Strom versorgt die Wärmepumpen, die daraus Heizenergie für die Nahwärmenetze generieren. Geplant sind 26 Wärmenetze in der Stadt Südliches Anhalt, 14 in Zörbig und 17 Netze in Petersberg. Überschüssiger Strom wird für den Direktverbrauch zunächst an Großkunden wie Industriebetriebe geliefert, kann aber auch für die Erzeugung von Wasserstoff genutzt werden. Dann noch verbleibende Energie wird in das öffentliche Stromnetz eingespeist. Damit die Wärmenetze wirtschaftlich sind, müssen mindestens 50 Prozent der Haushalte einen Anschluss beantragen.

Informationsgespräche vor Ort

Zunächst gilt es, Abnehmer für die Wärme zu gewinnen. Dafür spricht GP JOULE zunächst mit den politischen Entscheidern vor Ort. Sind diese überzeugt, laden sie gemeinsam die Bürgerinnen und Bürger zu Informationsveranstaltungen ein. Seit dem Herbst 2022 haben Hölscher und Kollegen schon alle 24 Ortschaften der Stadt Südliches Anhalt besucht, nun geht es los mit den Bürgerversammlungen. In Zörbig und Petersberg haben sie erste Gespräche mit den politischen Entscheidern geführt. Das Interesse ist groß, denn für die Einwohnerinnen und Einwohner hat der Anschluss viele Vorteile. Zunächst einmal bietet GP JOULE einen niedrigen Wärmepreis von 11 Cent je Kilowattstunde an, der für zehn Jahre garantiert wird. Damit sind die Haushalte von dem aktuell schwierigen Energiemarkt und unberechenbaren Preisentwicklungen entkoppelt. Weiterhin brauchen Hausbesitzer sich nicht um eine neue Heizung zu kümmern, wenn ihre alte Öloder Gasheizung ausgetauscht werden muss. Auch um die 65 Prozent erneuerbare Energien, die laut Gebäudeenergiegesetz bald für den Betrieb einer neuen Heizung gefordert werden, brauchen sie sich keine Gedanken zu machen. Außerdem reduzieren sie CO2-Emissionen und leisten einen Beitrag, um das politische Ziel der Klimaneutralität in Deutschland bis 2045 zu erreichen.

Vertrauen schaffen und Versprechen halten

„Bisher war die Resonanz überwiegend positiv, die meisten Ortschaftsräte in der Stadt Südliches Anhalt haben für das Vorhaben gestimmt“, erzählt Hölscher. Aber sie kennt auch die Gründe für Zurückhaltung und Skepsis. So laufen Öl- und Gasheizungen in der Regel 20 bis 30 Jahre, und wer eine relativ neue hat, möchte sie häufig gern weiternutzen. Das gilt auch für vorhandene Wärmepumpen. Für diesen Fall bietet GP JOULE Teilanschlüsse für den späteren Anschluss an. Die Leitungen werden kostenfrei eineinhalb Meter auf das Grundstück gelegt. Ein späterer Anschluss ist dann einfach möglich, allerdings mit zusätzlichen Kosten. Zudem gibt es in Sachsen-Anhalt schon viele Windenergieanlagen, und einige Bürger fürchten, dass die neuen Anlagen nur zum Einspeisen von Strom errichtet werden sollen. Dies geht auf schlechte Erfahrungen zurück, die sie mit anderen Akteuren gemacht haben. GP JOULE sichert deswegen vertraglich zu, dass die Wärmenetze auch tatsächlich gebaut werden. All solche Fragen und Anliegen werden in den Bürgerveranstaltungen und Gesprächen in den Haushalten bei konkretem Interesse geklärt. „Wir bieten konkreten Mehrwert, die Bürgerinnen und Bürger sollen von den Wind- und Solaranlagen persönlich profitieren und das kommt an“, resümiert Hölscher. Sie ist zuversichtlich, dass die drei Kommunen in den nächsten Jahren ihre Energieversorgung umstellen werden. Vorreiter wird voraussichtlich die Stadt Südliches Anhalt sein. Dort gab es bereits einen politischen Beschluss, das Projekt fortzuführen, so dass GP JOULE hier aller Voraussicht nach noch in diesem Jahr mit dem ersten Teilabschnitt beginnen wird. Bis 2030 könnte alles komplett sein.