Raus aus dem Krisenmodus
Ein Kommentar von Dr. Fabian Faller
DAS GP JOULE-MAGAZIN NR. 13 / NOVEMBER 2022
Unser großer Tanker, die „Energieversorgung“, droht im Sturm der Ereignisse zu kentern. Zu lange wurden die Löcher in den Bordwänden nur provisorisch geflickt. Nun steuern der Kapitän und seine Crew auf Sicht, immer in Angst, an den Klippen des Energiemangels zu zerschellen. Dabei verpassen sie die Chance, den Kahn endlich richtig flottzumachen und den Kurs auf sichere Gewässer zu setzen. Fabian Faller hat da ein paar Vorschläge.
„Energiekrise: Inflation, Rezession, Wohlstandsverlust“, so titelt das ifo Institut. „Die Versorgungslage und explodierende Energiepreise stell en viele Unternehmen vor existenzielle Herausforderungen“, schreibt die IHK. „In jedem Fall ist die Zukunft sfähigkeit unserer Wirtschaft in Gefahr“, sagt der Bundeswirtschaft sminister. Krise. Krise. Krise. Die Preise steigen. Nun wird die Energieversorgung mit Milliarden Euro gesichert, LNG rangeschiff t, Kohlekraftwerke werden hochgefahren.
Doch wozu? Einerseits könnten wir anerkennend nicken: Da packen welche an, versuchen den Versorgungsausfall zu umschiff en und viele Schiff sbruchgefährdete an Board zu halten. Andererseits müssen wir den Kopf schütt eln, denn die Krise verstell t off enbar den Blick auf das, was wir eigentlich schon lange können: sichere, bezahlbare Energie für all e erzeugen mit einem konsequenten, schnell en Ausbau erneuerbarer Energien, mit Speichersystemen und fl exiblem Verbrauch. Gerade erst hat das Energieforschungsinstitut Energy Brainpool ermitt elt: Hätt en wir etwa ein Viertel mehr Windkraft anlagen und Solarpanels errichtet, dann wären die Strompreise über 20 Prozent niedriger. Was für eine Chance!
Es ist ernüchternd zu erkennen, wie mit Hochdruck das Fossil „Altes Energiesystem“ mit seinen großen, behäbigen Strukturen unter immensem personell em und fi nanziell em Einsatz der Bundes- und Landesregierungen gerett et wird, anstatt den Kahn zu modernisieren und unsinkbar zu machen. Ein tragisches Beispiel: der Import von Energieträgern wie Wasserstoff . Das sei angeblich nötig, da wir in Deutschland und Europa keine ausreichenden Mengen erneuerbarer Energien hätt en und auch nicht haben könnten, da die Netze fehlten, die für die Stromversorgung der Elektrolyseure ja unabdingbar seien. Nun kaufen Kanzler und Wirtschaft sminister Wasserstoff beispielsweise aus Kanada. Mit teurem Geld, das auch hierzulande gute Dienste für eine eigene, unabhängige Infrastruktur leisten könnte. In Kanada wird der Wasserstoff mit direkter Stromleitung vom Windpark zum Elektrolyseur erzeugt, also ganz ohne Netze. Sieh an. Problem: Die Windkraft anlagen gibt es dort noch gar nicht. Anders als hier. Von diesem Deal profi tieren einzig die in der fossilen Welt groß gewordenen europäischen und deutschen Energiehändler. Heimische Erzeuger gucken in die Röhre und wundern sich: Ist das Wasserstoff netz also vor all em für den Import, nicht aber für die heimische Produktion vorgesehen?
Für die nachhaltige, dezentrale und fl exible Energiewende werden Ziele gesetzlich verankert und einzelne Vorschriften angepasst, die dann ab Mitt e der 2020er Jahre ihre Wirkung entfalten mögen. Bundesziele hier, Mill iarden dort. Und was machen die Länder? Jedes wie es will . Jedes prüft , wie denn dieser Ausbau laufen könnte. Wir ergehen uns im Mikromanagement, fragen uns, ob eine Photovoltaik-Anlage auf dem Wasser eher 50 oder 70 Meter von der Uferböschung entfernt sein soll oder ob die Rotoren der Windkraftanlage ein paar Meter über die Vorrangfläche hinausragen.
Also einerseits kraftvoll es Durchgreifen und andererseits, klein bei klein, Pläne schmieden für die ferne Zukunft . Weiter könnten das Jetzt und das Morgen kaum auseinanderliegen. Zugegeben, wirklich tauschen möchte wohl kaum einer mit den politischen Verantwortlichen, denn im Kriegssturm auf Sicht zu navigieren gehört wohl zu den schwierigsten Disziplinen.
Trotzdem ist es schade, dass wir vor lauter Krise die Chance ungenutzt lassen, langfristige und zukunft ssichere Lösung voranzubringen. Drei simple Vorschläge:
Tempo: Wir entlasten alle, die sich in jahrelangen Genehmigungsverfahren verhaken. All en voran gilt das für die Behörden, die oft genug von Frist zu Frist hecheln, auf Stell ungnahmen warten und am Ende wiederholt Gutachten einholen lassen müssen, da altes Material verjährt. Also einfach erstmal die Fristen klarziehen, indem wir vorgeben: Wer sich innerhalb der Frist nicht meldet, bei dem wird angenommen, dass er zustimmt. Und es zählt das, was abgegeben wird. Kein Nachbessern, Fristverlängern oder dergleichen. Das gilt für all e, also sowohl für die Projektierer, die dann ins Risiko fall en, ihre Projekte nicht umsetzen zu können, als auch für die Träger öff entlicher Belange oder für Verbände, die sich schlicht dann mit den Themen befassen müssen, wenn sie anstehen. Und dann der große Wurf: Tempo bekommen wir, wenn wir größere Schritte machen. Daher gilt es, aus dem Klein-Klein der Genehmigungen herauszukommen. Das geht mit baurechtlichen Privilegierungen der Vorhaben für Klimaschutz und Energiewende und konsequent vereinfachten immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren.
Fairness: Wir schaffen gleiche Regeln für all e im Land. Ob Windenergie, Solarpark, Elektrolyseur oder Wärmenetz, all es wird vor Bau und Inbetriebnahme auf Herz und Nieren geprüft . Einheitliche Auslegungshilfen, eineindeutige Regelungen und Vorschrift en, bundesweit die gleichen Rahmenbedingungen für gute Verwaltungen. Dafür benötigt es auch einen Bürokratieabbau durch genau verfasste Gesetze und agile, digitale Verwaltungsprozesse. Ausdrucken und wieder einscannen oder Auft ragserteilung per Fax soll te generell nicht mehr üblich sein. Dann kommen wir im ganzen Land gemeinsam in der Moderne an.
100 % Erneuerbare für alle: Damit all e Verbraucher*innen und Sektoren langfristig sichere und günstige Energie erhalten, bedarf es eines dezentralen Energiesystems. Das steht für regionale Absicherung, für eine Verlängerung der Werkbank und damit höhere Wertschöpfung vor Ort. Die Kosten für erneuerbare Energie sind langfristig niedrig. Speicher und flexible Verbraucher ermöglichen es, dauerhaft mit Erneuerbaren zu leben. Was wir nicht brauchen, sind neue Abhängigkeiten. Statt - dessen brauchen wir Technologiepartnerschaft en zwischen den Ländern. Jeder bringt seine Innovationskraft und Potenziale ein – für Partnerschaft , Vertrauen und Miteinander. So erreichen wir 100 Prozent Erneuerbare für all e: durch den Austausch smarter Lösungen, nicht der Energieträger.
Wenn wir diese Themen konsequent angehen, können wir in großem Maßstab sichere, bezahlbare Energie bereitstell en. Wir schaff en damit Kapazitäten für langfristigen wirtschaftlichen Wohlstand. Wir kommen mit Schwung raus aus dem Krisenmodus.
Jetzt ist die Zeit, die Segel zu setzen für einen nachhaltigen Kurs der Energieversorgung! Nutzen wir unsere finanzielle Stärke, um Härtefäll e abzufedern und zugleich tragfähige und zukunftsfähige Lösungen zu unterstützen. Lasst uns unsere technische Raffi nesse einbringen in systemeffiziente Konzepte, die den gesamten Energiefluss im Blick haben! Vielleicht lauten dann bald die Schlagzeilen: „Energiekrise – war da was?“ „Niedrige Energiepreise ziehen viele Unternehmen an.“ Oder: „In jedem Fall ist die Zukunftsfähigkeit unserer Wirtschaft gesichert.“
Dr. Fabian Faller
ist Leiter des Bereichs Energiewirtschaft/Public Affairs bei GP JOULE. Davor war er als Geschäftsführer des Landesverbands Erneuerbare Energien Schleswig- Holstein für dessen strukturellen Aufbau sowie die politische Vertretung der gesamten Branche der Erneuerbaren Energien im Norden verantwortlich. Der promovierte Wirtschaftsgeograf ist Experte für gesellschaftliche und regionalwirtschaftliche Auswirkungen und Veränderungsprozesse der Branche der Erneuerbaren Energien.