Weltuntergang abgesagt

Weltuntergang abgesagt

DAS GP JOULE-MAGAZIN NR. 14 / JUNI 2023

Jan Hegenberg bloggt seit Jahren zu den Themen Ernährungs-, Energie und Verkehrswende. Ein Interview darüber, wie Fehlannahmen unsere Wahrnehmung beeinflussen und warum wir uns von der medialen Verstärkung negativer Unkenrufe nicht abbringen lassen sollten.

Herr Hegenberg, Sie schreiben in Ihrem Buch voller Überzeugung: „Wir werden die Klimakrise lösen.“ Woher kommt Ihre Zuversicht?

Jan Hegenberg: Dafür gibt es nicht die eine Begründung, es ist eher so eine Gemengelage. Die dafür benötigte Technik ist schon jetzt unschlagbar günstig und wird zukünftig sogar noch günstiger. Immer mehr Unternehmen und kluge Köpfe steigen in den Wettbewerb um die besten Ideen ein. Die Gesellschaft hat gemerkt, wie wichtig das Thema Energie ist, und viele verstehen, dass wir nicht beim alten System bleiben können. Wir können förmlich dabei zusehen, wie sich der globale Energiemarkt revolutioniert.

Eine ganz kurze Zusammenfassung Ihres Buchs „Weltuntergang fällt aus“: Das Leben wird großartig, wenn wir erst mal unsere Energieversorgung auf erneuerbar umgestellt haben. Geht diese positive Vision in der öffentlichen Wahrnehmung unter?

Ja. Grundsätzlich sind wir mit dem Ersinnen von Visionen viel zu sparsam, aber bei der Energiewende ist das besonders frappierend! Selbst ganz ohne Klimakrise sind fossile Brennstoffe ja nicht gerade der Weisheit letzter Schluss: Sie machen uns abhängig, schaden unserer Gesundheit und werden aufgrund ihrer Endlichkeit immer teurer. Man stelle sich nur mal vor, was passieren würde, wenn irgendwann mehrere Öl exportierende Länder gleichzeitig ihre Förderung drosseln müssten. Unsere über Jahrzehnte gewachsene Abhängigkeit von einem schlagartig teurer werdenden Rohstoff würde zu Chaos und Verwerfungen führen.

Für ein großartiges Leben brauchen wir natürlich noch ein paar mehr Dinge als eine Energiewende, aber sie ist ein riesiger Schritt, der gleich mehrere Probleme auf einmal löst.

Einige wenige malen beim Wort „Energiewende“ aber ganz bewusst das Untergangszenario an die Wand: Deindustrialisierung, Wohlstandsverlust und sowieso alles zu teuer. Warum nimmt man diese Minderheit eigentlich so stark wahr?

Vermutlich, weil sie durch die mediale Verstärkung viel größer gemacht wird als sie ist. Es sind ja durchaus berechtigte Fragen, die da gestellt werden, wie das alles überhaupt funktionieren soll. Diese Fragen werden aber in Sendungen oder Artikeln oft nicht von Fachleuten für Energietechnik beantwortet, sondern von eher fachfremden Personen, die dann sehr intensiv auf tatsächliche oder scheinbare Nachteile eingehen, ohne diese mit dem jetzigen System ins Verhältnis zu setzen.

Da in diesen Formaten auch nie ein konstruktiver Alternativvorschlag formuliert wird, scheint es sich um eine reine Verzögerungstaktik zu handeln. Das ist in der Sache ziemlich fragwürdig, aber leider auch effektiv: Viele Menschen lassen sich davon beeinflussen, übernehmen die Aussagen und denken dann, man wolle ihnen etwas wegnehmen.

Psychologisch gesehen ist das ein sogenannter Status-quo-Fehlschluss: Wir geben dem Status quo in unserer Bewertung einen Vorschuss, auch wenn es dafür keine guten Argumente gibt. Wenn diesem Fehlschluss dann auch noch viele Medien unterliegen und Menschen viel mehr warnende Berichte über die Folgen des Lithium-Abbaus als über die Ölförderung zu sehen bekommen, dann haben sie das Gefühl, Zeuge einer schlechten Entwicklung zu sein. Und negative Emotionen motivieren stark, sich dazu irgendwo zu äußern. Dementsprechend sehen die Facebook-Kommentarspalten zum Thema Energiewende aus.

Was sind Ihre Lieblingsvorurteile gegen die Energiewende und wie entkräften Sie die?

Aktuell mag ich am liebsten die Behauptung, dass Deutschland allein nichts erreichen könne, denn das kann man ganz simpel widerlegen, indem man zeigt, was wirklich im Ausland passiert. Gerade global kommt die Energiewende ja richtig in Schwung und wir können in jeder Metrik ein Land nennen, das schneller ist als Deutschland, sei das jetzt Photovoltaik- oder Windkraftzubau, Geothermie, Wärmewende, Antriebswende oder Speichertechnik.

Besonders schön ist das, wenn diese Beispiele nicht zu den Erwartungen der Zweifler passen. In Vorträgen zeige ich gerne den hohen Windstrom-Anteil im Strommix von Texas, den Wärmepumpen- Anteil in Skandinavien oder den Solarzubau in den Niederlanden. Da gucken viele immer ganz ungläubig auf die Folien und fragen nach der Quelle, so stark unterscheidet sich da die Wahrnehmung von der Realität.

Die Technologien sind da, die Vorteile – kein CO2-Ausstoß im Betrieb, viel niedrigere Energiepreise und so weiter – liegen auf der Hand. Warum fühlt es sich dennoch so an, dass es zu langsam vorangeht mit der Energiewende?

Na vermutlich, weil wir schon mal viel schneller waren und in Deutschland sogar im großen Stil Solarmodule gefertigt haben, um diesen Vorsprung dann in den letzten zehn Jahren wieder zu verspielen. Aktuell ziehen andere Länder an uns vorbei, das fühlt sich nach Stillstand an. Aber auch das ist eine trügerische Wahrnehmung: Manche Industrien, zum Beispiel die Autoindustrie, haben den Wandel längst beschlossen, nur kann die Wirkung bei Produktzyklen von mehreren Jahren nicht sofort sichtbar werden.

Gerade in Deutschland machen wir es uns zusätzlich schwer, indem wir technischen Fortschritt zunehmend politisch aufladen und bestimmten Parteien zuordnen. Dabei sollten weder klimaneutrale Stromerzeugung noch E-Autos politisch links oder rechts konnotiert sein. In vielen anderen Ländern sind sie das auch nicht. Bei uns schon und das weckt dann besonders starke Beharrungskräfte und lässt Menschen skeptisch gegenüber neuen Lösungen werden.

Das ist zu einem gewissen Grad bei allen Themen so. Menschen sind tendenziell keine großen Fans von Veränderung. Unsere Gehirne sind evolutionär gesehen die gleichen wie die, mit denen die Entdeckung des Faustkeils gemacht wurde, und schon da wird irgendwer gesagt haben: „Diese Faustkeile sind doch neumodischer Kram, ich bearbeite das Holz lieber mit meinen Zähnen. Das haben wir schon immer so gemacht!“

Sie machen früh in Ihrem Buch deutlich, dass wir mit Verzicht die Welt nicht retten werden. Sie selbst aber haben Ihren Klimafußabdruck auf 4 Tonnen CO2 pro Jahr gesenkt, mit Anstrengung und auch mit Verzicht. Trauen Sie diese Willensleistung schlicht nicht allen zu?

Das ist immer so eine Sache: Wir werden das Problem mit Verzicht allein nicht lösen, aber Verzicht beziehungsweise Einsparungen können uns jetzt eine Menge Zeit erkaufen. Deswegen halte ich es für unsere moralische Pflicht, Emissionen heute im Rahmen unserer Möglichkeiten einzusparen. Aber eben nicht, um eine Olympiade im Schlechtes- Gewissen-Haben zu gewinnen, sondern um parallel das System so umzustellen, dass persönlicher Verzicht ein immer weniger ausschlaggebender Faktor ist.

Das Problem daran ist, dass viele Menschen schon beim Wort „Verzicht“ zusammenzucken. Das ist auch so ein Kommunikationsfehler, denn Einsparungen sind nicht immer mit krassen Entbehrungen verbunden. Tatsächlich empfinde ich mein 4-Tonnen-CO2-Leben nicht als ultraasketisch oder so was. Wir müssen aber anerkennen, dass nicht alle die gleichen Möglichkeiten haben, ihre Emissionen zu senken, das ist ja stark abhängig von Wohnsituation, Bildung, Einkommen und Beruf. Selbst mit dem nötigen Willen ist das für manche Menschen eine große Herausforderung.

Welche Maßnahmen sind denn wirksamer als individueller Verzicht?

Die Umstellung unserer Systeme, denn die stecken voller Fehlanreize. Aktuell sind die klimafreundlicheren Lösungen oft die, die mit höheren Aufwänden oder Kosten für mich als Individuum verbunden sind. Das ist für das Senken von Emissionen ein denkbar schlechtes Set-up, denn damit bestrafen wir ja vernünftiges Verhalten. Wenn wir das korrigieren, ist die einzelne Willensanstrengung viel geringer. Eine Wärmepumpe ist dann klimaneutral UND in der Anschaffung günstiger als ein fossiles Heizsystem, die elektrische Fahrt immer billiger als die mit Benzin, das klimaneutrale Baumaterial billiger als klassischer Zement und so weiter.

Die Energiewende hat es da noch ein bisschen besser, denn da sind die meisten Technologien auch ohne CO2-Preis heute oder in absehbarer Zeit schon günstiger als die fossilen Pendants. Da ist es umso irritierender, dass viele Menschen mit wenig Lust auf Verzicht gleichzeitig erklärte Gegner*innen der Energiewende sind.

Und glauben Sie, dass die Gesellschaften dieser Welt die Entscheider* innen schnell genug überzeugt bekommen, die notwendigen Schritte zu gehen? Oder brauchen wir die Politiker*innen nicht, weil es am Ende der Markt regelt?

Wir brauchen beides. Entschlossene Politiker*innen müssen sinnvolle Rahmenbedingungen schaffen und wir als Gesellschaft müssen sie darin bestärken, diese Bedingungen mitzutragen, auch wenn sie zu Beginn unbequemer erscheinen mögen, als einfach so weiterzumachen. Am Ende gewinnen wir dabei ja alle, denn sowohl Gesellschaft als auch Politik als auch Wirtschaft sind in einem nichtfossilen System besser aufgestellt als heute. Die derzeitige Krise zeigt ja, wie riskant unser Stillstand war.

Nehmen Sie uns zum Schluss nochmal mit: Wie sieht unsere Welt aus, wenn wir die Energiewende, die Wärmewende, die Verkehrswende, die Wasserwende, all die Wenden geschafft haben?

Das wären dann tatsächlich utopische Zustände. Wir hätten einen verlässlichen Zugang zu klimaneutraler Energie mit stabilen Preisen und ohne derartig starke politische Abhängigkeiten wie heute. Die Menschen hätten weltweit Zugang zu sauberer Energie in einem System, das die planetaren Grenzen einhält und ganz neue Möglichkeiten eröffnet, den angerichteten Schaden wieder zu beseitigen.

Wir müssten nicht länger ein schlechtes Gewissen haben für Anschaffungen, die wir machen. Für Produkte, die aus einer klimaneutralen Kreislaufwirtschaft stammen, ist das nicht nötig. Es wird keine Apelle mehr geben, die heiße Dusche zu begrenzen oder nicht mehr mit dem Auto zu fahren – zumindest nicht aus Klimagründen. In dieser Welt würden eine Menge Menschen gar nicht mit dem Auto fahren wollen, weil es ihnen zu langsam ist. Bei der Verkehrswende denken ja auch viele an Verbote. Dabei zeigen Modellstädte, in denen Auto fahren nach wie vor erlaubt ist, dass den meisten das einfach zu lang dauert, weil das Straßensystem nicht mehr dafür ausgelegt ist.

Kurzum: Unsere Leben wären viel angenehmer. Sollte das zu langweilig klingen: Auch in einem solchen Utopia kann man einen echt miesen Tag haben, sich den Magen verderben, auf Trailer furchtbarer Filme reinfallen oder vom Nachbarn genervt sein.

Jan Hegenberg

gründete vor einigen Jahren den Blog „Der Graslutscher“, ursprünglich um die im Internet kursierenden Scheinargumente gegen pflanzliche Ernährung zu widerlegen. Heute ist er hauptberuflich Autor und Blogger und veröffentlicht wissenschaftlich fundierte und ebenso lustige Aufklärung und Medienkritik zu den Themen Ernährungs-, Energie- und Verkehrswende. Sein früheres BWL-Studium hilft ihm nun immerhin, groben Unfug zu enttarnen und zu widerlegen. Jan Hegenberg ist Vater von drei Kindern und lebt in Wiesbaden.