"Wir sollten mehr die Chancen neuer Entwicklungen sehen"

"Wir sollten mehr die Chancen neuer Entwicklungen sehen"

DAS GP JOULE-MAGAZIN NR. 16 / APRIL 2025

Energiewende, Digitalisierung, internationale Wettbewerbsfähigkeit – und mittendrin: die Elektro- und Digitalindustrie. Ein Interview mit Wolfgang Weber vom ZVEI, dem Verband der Elektro- und Digitalindustrie, über die Chancen intelligenter Vernetzung, den Ausbau erneuerbarer Energien und die Rolle der Industrie in der Transformation

Herr Weber, die deutsche Wirtschaft steht vor massiven Herausforderungen: Energiewende, Digitalisierung, Standortkonkurrenz. Ist das ein Risiko – oder die größte Chance für Ihre Mitglieder aus der Elektro und Digitalindustrie?

Wolfgang Weber: Wir sollten insgesamt dazu übergehen, mehr als bislang auch die Chancen neuer Entwicklungen zu sehen. Wir Europäer neigen häufig dazu, mit den vermeintlichen Risiken anzufangen. Das erzeugt dann sehr schnell unnötige Überregulierungen. Wir sehen das gerade zum Beispiel beim „AI Act“. Noch bevor irgendetwas passiert wäre, regulieren wir Aspekte in einer Weise, die vollständig den Boden des Notwendigen verlassen. Etwa dann, wenn Ceran-Kochfelder als Hochrisikotechnologien klassifiziert werden.

 

Ohne erneuerbare Energien keine nachhaltige Elektrifizierung. Wir haben zwar genug Flächen in Deutschland, um uns mit erneuerbarer Energie zu versorgen, doch der Ausbau und die Verteilung sind noch immer zu langsam. Wo sehen Sie Potenziale?

Klar ist, dass wir beim Netzausbau zulegen müssen. Leider werden aber aktuell Stimmen laut, die hier vor dem Hintergrund der langsameren Entwicklung bei E-Mobilität und Wärmepumpen Geschwindigkeit rausnehmen wollen. Das wäre völlig falsch. Wir dürfen den Fehler von ständig wechselnder Beschleunigung und Abbremsung bestimmter Maßnahmen nicht wiederholen. Der Ausbau der Netze muss mit dem von Solar- und Windenergie dringend Schritt halten. Sonst würden wir in wenigen Jahren schon wieder über die mangelnde „Deutschland-Geschwindigkeit” klagen.

 

Versorgungssicherheit, bezahlbare Energie, Klimaneutralität – wie lassen sich diese drei Ziele in einer All Electric Society unter einen Hut bringen?

Ein entscheidender Baustein ist die intelligente Vernetzung der verschiedenen Sektoren. Denn wenn Industrie, Energie, Gebäude, Mobilität und Infrastruktur in dieser Weise gekoppelt sind, lassen sie sich ganzheitlich betrachten und bedarfsorientiert steuern. Damit können wir entscheidende Effizienzgewinne erreichen. In diesem Zusammenhang spielt aber auch das Thema Automatisierung und Innovation eine wichtige Rolle. Mit Power-to-X-Technologien und intelligentem Demand Side Management können wir sowohl eine effizientere Nutzung als auch Speicherung von Strom erreichen. Und genau das ist natürlich eine wichtige Voraussetzung, um Kosteneinsparungen und eine bezahlbare Stromerzeugung zu ermöglichen. Aber man darf durchaus auch mal darauf hinweisen, dass schon fast 60 Prozent des Stromverbrauchs durch erneuerbare Energien gedeckt werden. Wir machen also Fortschritte und können auch die bisher nicht durch Strom gedeckten Energiebedarfe zunehmend elektrifizieren.

Das Leitbild der All Electric Society (AES) geht davon aus, dass die notwendige Abkehr von fossilen Brennstoffen umso schneller erreicht werden kann, je mehr wir unseren Energiebedarf aus regenerativen Quellen decken - und zwar mit Elektrizität. Immerhin übersteigt die Energie, die mit dem Sonnenlicht auf die Erde trifft, Berechnungen zufolge den gesamten Weltenergiebedarf um den Faktor 10.000. Eine effizientere Energienutzung – durch digitalisierte und vernetzte Prozesse – soll die Elektrifizierung beschleunigen.

Die Elektro- und Digitalindustrie ist ein Schlüsselakteur der Energiewende. Welche Technologien braucht es jetzt am dringendsten, um Dekarbonisierung und Effizienzsteigerung wirklich voranzutreiben?

Digitalisierung, künstliche Intelligenz und Automatisierung bleiben nach wie vor die Megatrends. Aus Deutschland und Europa können wir sicherlich nach wie vor eine entscheidende Rolle auf all diesen Feldern spielen. Wir müssen dabei vor allen Dingen Sorge tragen, dass wir uns nicht im Dickicht unserer eigenen Regulierungen verheddern. Eben hier sind die Bundesregierung und die EU-Kommission gefragt. Wichtig ist aber auch, dass wir bestimmte Bereiche weiterhin kraftvoll fördern. Zum Beispiel die Mikroelektronik braucht diese Förderung, sonst fallen Standortentscheidungen zu Gunsten anderer Regionen. Das darf einfach nicht passieren.

 

Selbst wenn die Politik ambitionierte Klimaziele vorgibt, hapert es oft an der Umsetzung. Welche konkreten Maßnahmen wünschen Sie sich, damit die Transformation weiter beschleunigt werden kann?

Das betrifft aus meiner Sicht zunächst vor allen Dingen die Standortfaktoren. Bürokratieabbau, Entrümpelung der Berichtspflichten oder Strompreise – hier müssen wir einfach überall vorwärtskommen. Wir brauchen wieder ein positiveres Klima, das Innovationen begünstigt. Damit wäre für uns alle viel gewonnen. Die gute Nachricht ist, dass diese Herausforderungen lösbar sind. Die neue Regierung muss sie nur anpacken und Unsicherheiten beseitigen.

 

Und was erwarten Sie von Energieversorgern wie uns, damit Effizienzwende und All Electric Society Realität werden kann?

Die Bandbreite bei unterschiedlichen Energieversorgern ist breit. Um bei GP JOULE anzufangen: ich finde klasse, dass Sie Ihren dynamischen Stromtarif so bewusst bewerben. Das tun leider noch nicht alle. Wir haben in einer ZVEI-Umfrage in der breiten Öffentlichkeit mit Civey vor kurzem herausgefunden, dass viel mehr Bürgerinnen und Bürger gerne die Chancen der Elektrifizierung u.a. durch solche Tarife noch stärker nutzen möchten. Vor allen Dingen sollten Sie und Ihre Peers in Smart Grids investieren bzw. mit den Messstellen- und Netzbetreibern stark zusammenarbeiten, denn eine digitalisierte Infrastruktur bei den Netzen ist unverzichtbar. Zudem ist es hilfreich, wenn Sie bei der oben angesprochenen Sektorenvernetzung mitwirken, damit Synergien entstehen. Aber auch bei den Investitionen in Speichertechnologien sind Sie gefragt, um der Volatilität erneuerbarer Energien entgegenzuwirken.

 

Da sind wir also auf einem guten Weg. Und was können die Unternehmen der Elektro- und Digitalindustrie tun, um den nachhaltigen Umbau unserer Energieversorgung aktiv voranzutreiben?

Unsere Branche ist nach wie vor ein Innovationstreiber. Etwa, wenn es ums digitale, smarte und vernetzte Messen von Stromerzeugungen und Verbräuchen wie den Smart Meter Gateways geht. Damit stellen wir die Technologien und Werkzeuge bereit, die Sie brauchen. Gerade für den massiven Ausbau der Netze haben unsere Unternehmen ihre Kapazitäten für die Bereitstellung von Trafos, Messstationen und Leitungen und Kabeln ausgebaut. Aber wir nehmen selbstverständlich immer gerne weitere Anregungen auf!

Wolfgang Weber

Wolfgang Weber ist Vorsitzender der Geschäftsführung des ZVEI e.V. (Verband der Elektro- und Digitalindustrie). Zuvor war er bei BASF Leiter der Abteilung Energie- und Klimapolitik, Kommunikation und Government Relations, Vice President EU Government Relations der BASF-Gruppe in Brüssel sowie Vice President Corporate Communications and Government Relations für die BASF-Region Europa, Naher Osten und Afrika (EMEA).

 

© ZVEI/Laurence Chaperon